Geh Ich Auf Meine Hochzeit
ein Seehundbaby geprügelt zu haben. Trotz der harten Schale, die Evie so hartnäckig zur Schau trug, war sie innen weich wie Butter und sehr verwundbar. Sie hatte bereits so viele Schicksalsschläge hinnehmen müssen, dass es Olivia schwer fiel, dem noch eins draufzusetzen. Reumütig ergriff sie die Hand ihrer Freundin.
»Tut mir Leid, Evie«, meinte sie verzweifelt. »Ich wollte dir nicht noch mehr wehtun, aber ich musste es aussprechen.«
Ihre Freundin biss sich gequält auf die Unterlippe, und Olivia befürchtete, sie würde zu schluchzen anfangen. Doch Evie atmete tief durch und flüsterte: »Du hast Recht.«
Olivia seufzte erleichtert auf. »Ich bin so froh, Evie. Natürlich wird es dir schwer fallen, aber es ist richtig so.«
Evie nahm ihre Serviette und tupfte sich damit die Augen trocken. »Es stimmt, dass ich auf diese Weise Rosie zwingen würde, zwischen mir und Papa zu wählen. Und du hast Recht - es wäre schrecklich, wenn ich mich in aller Öffentlichkeit gegen ihn wende. Ich muss immer wieder darüber nachgrübeln, was ich denn nun tun soll, und ich hasse es, dass ich so kindisch bin.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Kaum zu glauben, dass die vernünftige und pragmatische Evie sich wie eine Primadonna aufführt...«
»Du benimmst dich nicht wie eine Primadonna«, unterbrach Olivia sie. »Normalerweise hättest du ganz besonnen reagiert, aber diese Sache ist schon schwer zu verdauen.«
»Zum letzten Mal habe ich die Beherrschung verloren, als ich sieben Jahre alt war: da hat jemand ein Bein meiner Tiny-Tears-Puppe zerbrochen! Jetzt bin ich etwas zu alt für solche Anfälle; aber ich sehe tatsächlich rot, wenn ich daran denke, wie diese Frau Papa ausnutzt...«
Das Lächeln war aus Evies Augen gewichen, die Olivia jetzt anfunkelten. »Was Vida betrifft, irrst du dich. Sie hasst mich, und ich hasse sie. Ich misstraue ihr, und falls sie Papa verletzen sollte, bringe ich sie um. Das ist mein Ernst!«
Olivia hatte noch nie zuvor einen derart harten Blick bei ihrer Freundin bemerkt. Es ängstigte sie. Doch sie wollte sich keinen weiteren endlosen Klagegesang anhören.
»Sei nicht so wütend, Evie, es frisst dich sonst auf«, besänftigte sie die Freundin. »Komm schon, lass uns essen. Mit so einem aufgebrachten, geröteten Gesicht kann ich dich unmöglich ins Büro zurückschicken - die anderen werden denken, ich hätte dich geohrfeigt!«
Evie lachte hell auf, und die Spannung war gebrochen. »Nicht im Traum würden sie so etwas vermuten«, meinte sie und lächelte schwach. »Ihrer Ansicht nach würde keiner es wagen, mich zu schlagen. Sie jedenfalls hätten ganz bestimmt nicht den Mut dazu.«
»Du willst mir doch nicht weismachen, dass sie sich von deiner Zäh-wie-Leder-Attitüde beeindrucken lassen?«, fragte Olivia mit vollem Mund. »Wissen sie denn nicht, dass du einen butterweichen Kern hast?«
Evie zuckte zusammen. »Das wäre mir unerträglich. Ein Büro kann nur mit eiserner Hand geführt werden.«
»Würdest du mir verraten, wie man dieselbe Technik einer Horde von ungezogenen Schulkindern gegenüber anwendet?«, fragte Olivia. »Noch ein Vierteljahr mit der 3 A wird mich in den Wahnsinn treiben.«
»So schlimm können sie doch gar nicht sein, oder?« Evie fiel nicht auf, wie entmutigt Olivia wirkte. »Du musst ihnen einfach zeigen, wer der Herr im Hause ist.«
»Leichter gesagt als getan!« Olivia starrte in ihre Suppe. Der Gedanke daran, dass sie in vier Tagen wieder mit der Klasse 3 A fertig werden musste, die nach den Weihnachtsferien allesamt hyperaktiv sein und ihr das Leben zur Hölle machen würden, ließ ihr das Herz in die Hose sinken. Sie würden ihr das reinste Waterloo bescheren - aber so kam ihr ihr Leben ohnehin schon vor.
»Mit den fünften und sechsten Klassen hatte ich dieses Problem nie«, meinte sie. »Doch als letztes Jahr die andere Lehrerin für Haushaltslehre gekündigt hatte, wollte die Nachfolgerin lieber die älteren Klassen unterrichten. Da ich nur halbtags arbeite, bekam ich die schreckliche dritte Klasse. Und darunter befinden sich ein paar echte Terroristen.« Sie legte ihren Löffel ab. Ihr ohnehin seit Tagen schlechter Appetit war vollends versiegt. »Keiner der anderen Lehrer kann die Querschießer ausstehen - aber ich bin die Einzige, die sie nicht einmal unter Kontrolle bringt.«
»Vermutlich sind sie alle wie verrückt eifersüchtig auf dich«, entgegnete Evie. Da sie selbst mit großem Erfolg Befehle erteilte, konnte sie nicht nachvollziehen,
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