Geh Ich Auf Meine Hochzeit
weshalb ihre Freundin so viel Ärger mit nicht zu bändigenden Schülern hatte.
Evie hatte immer schon angenommen, dass ein einziger Blick auf die wie auf einer Wolke schwebende Olivia die Klasse augenblicklich zum Schweigen bringen müsste. Mit ihren wehenden, blonden Haaren, den feinen Zügen eines Models und dem langen schlanken Körper sah sie absolut perfekt aus. Evie war überzeugt davon, wenn sie so aussähe, wäre ihr Leben anders verlaufen. Wie in einem romantischen Roman mit echten Helden, die nur darauf warteten, sie an sonnige Orte mit Yachten und prächtigen Schlössern zu entführen und ihr die Familienjuwelen zu präsentieren.
Und keinen Überziehungskredit, einsame Nächte vor dem Fernseher, monatelang die billigsten Fleischangebote, weil sie so knapp bei Kasse waren - und ganz sicher kein Briefekleben nachts, um damit Rosies Klassenfahrt nach Stratford-on-Avon zu bezahlen.
Doch Olivia hatte ihre Schönheit niemals Gewinn bringend eingesetzt, sie schien sich ihrer nicht einmal bewusst zu sein. In der Schule hatte sie immer schäbige Klamotten getragen und sich nie zu den etwas schickeren Mädchen in St. Agatha gesellt, die seit den Teenagerjahren mit Jungs ausgingen. Die plumpe Evie dagegen hatte viel geredet und war immer etwas tonangebend gewesen, um so ihre Unsicherheit zu überspielen. Trotzdem war sie nicht gerade mit Angeboten seitens der Jungs überflutet worden, und so blieb alles im Rahmen. Doch die unerhört unsichere und ängstliche Olivia hätte sich nach Belieben jeden der Jungs aussuchen können.
Wie aber sollte sich ein Mädchen normal entwickeln, wenn ihre Teenager jähre genau in die Zeit fielen, in der ihre Eltern am schlimmsten tranken? Wenn die eigene Mutter einen jeden zweiten Tag grundlos zusammenstauchte, wirkte sich das nicht unbedingt positiv auf das Selbstbewusstsein aus, ganz gleich, was für eine blendende Erscheinung man auch sein mochte.
»Graut dir tatsächlich davor, wieder mit der Schule anzufangen?«, fragte sie Olivia.
Ihre Freundin nickte bedrückt.
»Stephen ist so glücklich, wieder zu arbeiten. Ich glaube, es langweilt ihn, mit mir zu Hause herumzuhängen.« Sie sprach nicht aus, dass sie überzeugt davon war, dass er sich in ihrer Gegenwart langweilte. Es war nur zu offensichtlich. Ihr Mann langweilte sich zu Tode mit ihr. Er zog eine Unterhaltung mit Fremden auf einer Party stets ihrer Gesellschaft vor, und sein Gesicht hellte sich sofort auf, wenn er über seine Arbeit sprechen konnte. Das interessierte ihn unendlich mehr, als mit ihr zu reden. Plötzlich hatte Olivia das Gefühl, Evie das alles gar nicht vermitteln zu können. Sie fühlte sich zu verletzlich, um darüber eine Diskussion zu beginnen... fühlte sich als Versager.
»Sicher langweilt er sich nicht«, unterbrach Evie sie. »Vermutlich hat er einfach nur die Post-Weihnachts-Depression wie wir alle.«
Olivia schüttelte resigniert den Kopf und dachte, dass Stephen sowohl vor als auch nach Weihnachten unter dieser Stimmungslage gelitten hatte. »Das ist es nicht. Gestern habe ich vorgeschlagen, dass wir an unserem letzten freien Tag nach Howth rausfahren und dort in einem der netten Pubs essen. Er aber wollte seine Sachen aufarbeiten und hat sich den ganzen Tag hinter Akten verschanzt. Wenn es im Fernsehen keinen guten Film gegeben hätte, wäre ich die Wände hochgegangen. Gott sei Dank lief Sommersby. Ich liebe Richard Gere.«
Evie seufzte zustimmend und winkte dem Ober, um Kaffee zu bestellen. Er beachtete sie nicht.
»Versuch du es«, meinte sie.
Olivia reckte ihr perfektes Profil, strich sich eine blonde Haarsträhne zurück und blickte hoffnungsvoll in Richtung Tresen. Sowohl der Barmann als auch der Ober tauchten augenblicklich an ihrem Tisch auf und musterten die elegante Blondine mit dem schiefergrauen Pullover interessiert.
»Zwei Tassen Kaffee, bitte.« Olivia lächelte höflich.
»Wie machst du das nur?«, fragte Evie und schüttelte den Kopf. »Aber du brauchst gar nicht zu antworten. Wie auch immer, du hättest auf diesem Ausflug bestehen sollen. Stephen, dieser Streber, verbringt genug Zeit am Schreibtisch; die Firma ginge nicht bankrott, wenn er dieses eine Mal, wie alle anderen auch, unvorbereitet zur Arbeit zurückkehren würde.«
»Ich weiß. Aber sein Job ist ihm so wichtig...«, erklärte Olivia niedergeschlagen.
»Sasha und du, ihr seid auch wichtig«, entgegnete Evie und löffelte reichlich Zucker in ihren Kaffee, um sich für den bevorstehenden Nachmittag zu
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