Geh Ich Auf Meine Hochzeit
hättest, wenn dir etwas richtig Schreckliches zugestoßen wäre. Du weißt gar nicht, wie viel Glück du gehabt hast, Evie. Du weißt es einfach nicht.«
Jetzt war Caras Tonfall bitter, so bitter, dass Evie sich fragte, woher die Heftigkeit ihrer Reaktion rührte.
»Komm von deinem hohen Ross herunter und sieh der Wirklichkeit ins Auge. Papa hat lang genug auf ein wenig Glück gewartet. Und wenn wir beide nicht so sehr mit unseren eigenen Problemen beschäftigt gewesen wären, wäre uns auch seine Einsamkeit aufgefallen. Ich bin froh, dass es Vida gibt - denn ich möchte nicht, dass er das letzte Kapitel alleine verbringt. Wenn du auch nur fünf Minuten lang nicht nur an dich selbst denken würdest, würdest du mir zustimmen.«
Danach war Cara aus der Küche gestürmt und hatte den Rest des Abends kein Wort mehr mit ihrer Schwester gewechselt. Am nächsten Tag war sie mit dem Bus zurück nach Dublin gefahren. Ihre Telefonate seither beschränkten sich lediglich auf Sachfragen. Die Erinnerung an jene hitzige Unterredung hing jedoch wie eine schwarze Gewitterwolke, die keiner erwähnen mochte, über ihnen.
Evie hatte Cara gegenüber ein schlechtes Gewissen. Sie fühlte sich schuldig und gleichzeitig grollte sie ihr. Cara hätte eigentlich auf ihrer Seite und nicht auf Vidas Seite sein sollen. Wenn ihre Schwester sie schon nicht verstehen konnte, wer dann? Was wirklich an ihr nagte, war Caras Betroffenheit, als sie von etwas richtig Schrecklichem gesprochen hatte, was einem zustoßen konnte. Sie hatte auf etwas ganz Bestimmtes angespielt, dessen war sich Evie sicher. Etwas, von dem ihr Cara noch nie erzählt hatte. Das ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Rosie plapperte immer noch von Kleidungsstücken für die Hochzeit.
»Cara meinte, sie würde sich gerne einen Hosenanzug kaufen, aber sie ist zur Zeit knapp bei Kasse«, fuhr sie fort.
»Ich kann nur hoffen, dass sie sich so was kauft«, stimmte Evie ihr bei. »Man kann nie wissen, in welchem Outfit sie sonst dort aufkreuzt. Ich hatte schon befürchtet, sie würde vielleicht Militärhosen und ein T-Shirt tragen, um uns vor Vidas vornehmen Freunden zu blamieren.«
In diesem Augenblick maß Cara der Kleiderfrage zur Hochzeit ihres Vaters nicht die geringste Bedeutung bei. Sie stand über ein Zeichenbrett gebeugt und legte letzte Hand an einen Werbeauftrag, den sie auf ihrem und Zoës Schreibtisch nach ihrer Rückkehr vom Mittagessen am gestrigen Tage vorgefunden hatten.
»Es handelt sich um eine Blitzaktion«, hatte Bernard achtlos auf einen Zettel gekritzelt. »Bis Montag muss sie fertig sein.«
Kein Bitte, Danke oder tut mir Leid, dass ich euren Freitag, euren Samstag und überhaupt euer ganzes Leben ruiniere. Cara kochte. Nein, das kommt daher, dass ich überhaupt gar kein eigenes Leben besitze, nicht wahr? Weder ein eigenes Leben noch eine eigene Karriere. Für meinen Chef bin ich lediglich ein psychopathischer Fall, der Freitag Überstunden machen und den ganzen Samstag durcharbeiten kann, ohne dass man mir gegenüber auch nur ein Mindestmaß an Höflichkeit walten lassen muss!
Am Wochenende zu arbeiten war ihr zuwider. Sie konnte es nicht ausstehen, wie still die Firma am Samstagnachmittag wurde, wie das Gebäude unheimlich ächzte, als ob eine Unzahl von Einbrechern sich einen Weg in die Büros gebahnt hätten und sich hinter den Aktenschränken verbargen, wenn sie sich nach unten schlich, um nach dem Rechten zu sehen.
Cara wusste wohl, dass die Geräusche eine Kombination von abkühlenden Heizungsrohren und knarrenden Dielen waren, doch das machte die Sache nicht weniger unheimlich.
Nachdem sie sich weitere zehn Minuten voll konzentriert hatte, hatte sie es geschafft. Fertig! Ziemlich ausgelaugt trug sie das vollendete Werk zum Farbkopierer und machte mehrere Abzüge. Dann packte sie ihren Kram zusammen und ging nach unten, um das Original auf den Schreibtisch des Kreativdirektors zu platzieren. Gerade hatte sie es behutsam abgelegt, als sie hinter sich Schritte vernahm und vor Schreck erstarrte.
»Cara, was machst du denn hier um halb sieben an einem Samstagabend?«
Vor ihr stand Ewan von der Textabteilung. Er sah ganz anders aus als sonst, denn er trug einen dunklen Anzug und nicht seine übliche legere Kleidung.
Wie alle Texter machte er von seinem Äußeren nicht viel Aufhebens. Sie hatte ihn nie anders als mit Jeans oder einer weiten Hose gesehen. Sein dunkles, lockiges Haar fiel ihm über den Kragen. Doch der schicke anthrazitfarbene Anzug
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