Geheimakte Proteus
die Spitze ab und begann, den Inhalt der Flasche in sich hineinzusaugen.
»Sie wissen? Also, warum musste ich dann hier herumwühlen -?«
Während er schluckte, hielt er ihr ein dünnes, beigefarbenes Plättchen hin. »Ich habe sein Interface gefunden.«
»Und was ist das?«
»Seine Dohan-Lee-Schablone.«
Lani sprang auf. »Und Sie haben sie ihm weggenommen? Einfach so?«
»Natürlich.«
»Aber was ist mit ihm?«
»Er fluxt jetzt in den Neutralzustand zurück.« Ihr Gesicht verriet ihre Verwirrung, und er neigte seinen Lani-Kopf leicht zur Seite und starrte sie an. »Sie wissen nicht viel über Mimiks, wie?«
»Ich weiß so viel wie jeder andere auch.«
»Also, wenn Sie es aus erster Hand wissen wollen, dann sollten Sie zusehen.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich. Er beißt nicht. Er wird die nächsten zwölf Stunden schlafen.«
Lani war sich gar nicht so sicher, ob sie das wirklich sehen wollte, aber dann gewann die Neugier in ihr die Oberhand. Einen Mimik ohne Masque zu sehen, sozusagen ausgezogen.
»Was werden Sie jetzt machen?«
»Mich nach seinem Garderobenetui umsehen. Er hat es ganz bestimmt irgendwo hier versteckt. Und während ich nachsehe, lagere ich Nährstoffe ein.«
»Für Ihr nächstes … haben Sie das ›Fluxen‹ genannt?«
»Ja, ich fluxe mich jetzt zu Dohan Lee.« Er hob den Behälter und nahm einen weiteren Schluck.
Lani begab sich zögernd zu dem Raum, wo sie Mr. Lee zurückgelassen hatten – nein Eel. Dieser ganze Tag kam ihr jetzt völlig surreal vor. Gestern war sie noch so normal und vernünftig gewesen. Sie war aufgestanden, in die Zitadelle gegangen, hatte ihre Datameisterpflichten erfüllt und war wieder nach Hause gekommen. Ganz einfach.
Heute war sie vor ihre Tür getreten, und seitdem war nichts mehr so wie vorher.
Sie wurde langsamer, während sie sich dem Raum näherte. Wollte sie das wirklich sehen?
Ja. Das musste sie. Trev hatte mit diesen Kreaturen zu tun gehabt. In seiner Vorstellung waren sie tatsächlich menschlich gewesen, oder zumindest verdammt nahe am Menschlichen. »Eine genetische Variante«, hatte er sie genannt.
Aber jetzt hatte sie die Gelegenheit, einen dieser Mimiks in dem Zustand zu sehen, den sie den »Neutralzustand« nannten, was auch immer das bedeutete.
Auf der Schwelle hielt sie inne. Das Zimmer war abgedunkelt, aber immer noch hell genug, um eine kräftige Gestalt auf dem Bett liegen zu sehen. Sie schob sich näher heran. Jetzt bemerkte Lani, dass Eel mit gespreizten Beinen dalag, und ertappte sich dabei, wie ihr Blick beinahe automatisch zu seinem Unterleib wanderte.
Sie keuchte auf.
Sie hatte von Trev ein wenig über Mimiks erfahren. Er hatte ihr gesagt, wie das Goleman-Chromosom bei Mimiks an die Stelle des Sexualchromosoms trat, sodass sie im neutralen Zustand asexuell waren. Zumindest physisch. Mental und emotional, hatte er gesagt, behielten sie die sexuelle Orientierung ihrer Quell-DNS. Wenn diese Quell-DNS mit einem Y-Chromosomen ausgestattet gewesen war, dann führte das dazu, dass die Überreste des Y den Mimik dazu veranlassten, in sich einen »Er« zu sehen. Das Gegenteil galt, wenn das Goleman-Chromosom an die Stelle eines X trat.
Sicher. Fakten … die Fakten kannte sie. Aber diese Fakten hatten sie nicht auf den Anblick eines neutralen Mimik vorbereitet.
Ihre Augen öffneten und schlossen sich ein paar Mal, aber auch das fügte dem glatten Fleisch zwischen den Schenkeln keine Details hinzu. So glatt … wie eine Puppe.
Sie trat näher an das blasse Geschöpf heran, beobachtete, wie sich seine haarlose Brust langsam hob und senkte, und blickte dann zum Kopf mit seinem blassen, ovalen Gesicht und dem farblosen Haar hinauf – welches das rote Blut aus der Kopfwunde noch erschreckender erscheinen ließ. Die Schlafscheibe haftete immer noch am Schädelansatz.
Sie stand da und starrte das Gesicht, die glatten, ausdruckslosen Züge an – den beinahe lippenlosen Mund, die glatten Halbkugeln der Lider über den Augen – und fühlte … ja, was fühlte sie eigentlich?
Lani hatte mit Abscheu gerechnet, aber stattdessen spürte sie, wie die Unschuld dieses Gesichts sie beeindruckte. Hier war so etwas wie ein leerer Bildschirm, der nur darauf wartete, dass eine Form, ein Umriss, ein Wort ihm Bedeutung verlieh. Schwer vorzustellen, dass dies einer der Champions der Mimikarena war, der sich seinen Lebensunterhalt damit verdiente, gegen andere Mimiks zu kämpfen – und sie manchmal auch zu töten.
Als sie das Zimmer verließ,
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