Geheimakte Proteus
Person sein, jemand, den andere Leute kennen lernen und vielleicht sogar mögen. Ich möchte meine eigenen Dinge – selbst nutzlose Dinge! – und einen Ort, der nur mir gehört, wo ich sie hintun kann. Und ich möchte diesen Ort dann verlassen, wann ich will, so lange wegbleiben, wie ich will, und dann wieder zurückkommen, wenn mir danach ist. Ich …«
Plötzlich änderte sich der Ausdruck in seinen Augen, und man hatte den Eindruck, dass er sich gewaltsam von einem Ort in weiter Ferne losriss.
»Tut mir Leid«, sagte er.
»Ist schon gut. Ich verstehe.« Sie hatte immer angenommen, Mimiks wären wie Roboter, ohne Identität, ohne Gefühle. Aber was sie gerade gehört hatte … bewegte sie.
Er warf ihr einen schnellen, durchdringenden Blick zu. »Sie verstehen? Sie können das unmöglich verstehen.«
»Nun, vielleicht nicht völlig. Aber ich bin auch nicht frei. Meine Bewegungsfreiheit ist für die Dauer meines Vertrags stark eingeengt, ich werde streng kontrolliert. Man erwartet von mir, dass ich mir jede Abweichung von meinem üblichen Tagesablauf genehmigen lasse, und wenn ich auch nur eine einzige Zugangssitzung verpasse, kommt sofort eine Polizeipatrouille und sieht nach. Verdammt, ich habe die Freizone seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Also sagen Sie mir bloß nicht, dass ich das nicht verstehen kann.«
»Das ist nicht dasselbe«, sagte er. »Nicht einmal annähernd. In fünf Jahren läuft Ihr Vertrag aus, und Sie sind dann jung und attraktiv, haben ein dickes Konto und können den Rest Ihres Lebens tun und lassen, was Sie wollen, überall auf der Welt.«
Richtig, dachte sie. Den Rest meines Lebens, aber vielleicht nur mehr mit meinem halben Verstand, wenn Trev Recht gehabt hat.
Aber sie musste zugeben, dass ihre Situation auch nicht annähernd dieselbe war. Sie war normal aufgewachsen, hatte den Datameistervertrag in Kenntnis der Risiken unterzeichnet und hatte, obwohl nur der Tod oder ein Hirnschaden zu einer Auflösung des Vertrags führen konnte, immerhin ihren eigenen Weg gewählt.
Aber ein Mimik … von einem Glom ausgebrütet, von einem Glom aufgezogen, ausgebildet und trainiert, genetisch nach Laune eines Glom verändert und dies so oft, wie das Glom das für notwendig hielt.
Und was dann? Was geschah mit alten Mimiks, die zu nichts mehr zu gebrauchen waren? Wo kamen sie hin? Lani wollte nicht fragen. Wahrscheinlich in die Bottiche … Mimikbottiche.
Sie sah diesen Mimik an und wusste, dass er, obwohl er keine Hoffnung hatte, doch noch immer einen Traum hegte. Und obwohl er ihre Haut trug, war er innen jemand anderer. Nicht nur ein Mimik … eine Person … ein Jemand.
Jemand namens Tristan.
War es das, was Trev gesehen hatte? War es das, was ihn verändert hatte?
Warum habe ich es nicht gesehen? Warum habe ich so lange gebraucht?
Vielleicht, weil sie nie mit einem Mimik zusammengewesen war – zumindest nicht wissentlich. Trev war durch seine Arbeit die ganze Zeit mit ihnen in Berührung gewesen. Aber Lani … sie war wie alle anderen: Mimiks waren etwas, wovon man hörte, aber was man nie zu Gesicht bekam, es sei denn, man hatte etwas für den Arenasport übrig.
Sie blickte auf und sah, wie dieser Mimik – Tristan – den Rest seiner Konzentrate zu sich nahm.
»Und jetzt, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden«, sagte er nach einem letzten Schluck, »ist es für mich Zeit zu fluxen. Warten Sie hier auf mich.«
Einfach so … es ist Zeit zu fluxen.
Als Lani ihm nachsah, wie er in eines der hinteren Zimmer ging, kämpfte sie gegen den plötzlichen Impuls an, ihn aufzuhalten. Warum sollte er nicht in Dohan Lee fluxen und seiner Wege gehen?
Weil er mir fehlen wird.
Was? Wo war diese verrückte Idee hergekommen? Er war in ihr Leben eingedrungen, hatte ihre Identität gestohlen, sie in ein Datenvergehen verwickelt und in einen tätlichen Angriff auf einen Arenamimik hineingezogen. Das Beste war, ihn schnell loszuwerden.
Aber der Gedanke ließ sie nicht los. Er besaß eine Kopie ihres eigenen Körpers, und das … verband sie irgendwie miteinander. So dünn dieses Band auch sein mochte, irgendwie spürte sie es.
Merkwürdig, dachte sie, wie Schwestern, Zwillinge … sie waren verbunden, und sie war seit Monaten von allem und jedem losgelöst gewesen.
Zum ersten Mal seit Trevs Tod fühlte sie sich nicht mehr so verdammt allein.
Ihre Augen weiteten sich, als sie aus dem hinteren Bereich der Wohnung ein Stöhnen hörte. Zögernd erhob sie sich und ging den Flur hinunter, auf
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