Geheimakte Proteus
erinnerte sie sich daran, wie Trev in den Monaten vor seinem Tod manchmal Atemprobleme gehabt hatte, wie er nach zahlreichen Gläsern Dewar’s Greenies nach Hause getaumelt war und wie mürrisch er geworden war. Sie konnte immer noch seine lallende Stimme hören: »Was haben wir getan, Lani? Was zum Teufel haben wir getan?«
Er hatte sich nie deutlich darüber ausgelassen, auf wen sich dieses »wir« bezog oder was sie getan hatten. Jetzt glaubte Lani zu verstehen.
Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß der Mimik da, nippte immer wieder an einem weiteren Behälter mit Konzentrat und starrte dabei etwas an, was er in der Hand hielt.
Er … wenn Mimiks asexuell waren, weshalb war er dann in ihren Gedanken ein »Er«, obwohl er einen weiblichen Körper trug? Zu allem Überfluss den ihren? Aber als sie ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte, war er männlich gewesen – Trev. Das musste es sein. Irgendwo in ihrem Bewusstsein war er mit Trev gekoppelt … irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er immer noch ein Stück von Trev in sich trug.
Der Mimik blickte auf, als sie eintrat.
»Ich habe seine Garderobe gefunden«, sagte er.
Lani sah auf das flache Etui, das er in der Hand hielt. Fünf kleine, scheibenförmige Fächer im äußeren Bereich, die eine leere Vertiefung in der Mitte umgaben – offensichtlich für die Dohan-Lee-Schablone. Jedes Fach war mit einem Symbol gekennzeichnet.
»Der Stoff, aus dem die Träume sind«, sagte er leise.
»Was?«
»Nichts. Etwas aus einem alten Vid.«
»Wo haben Sie es denn gefunden?«, wollte Lani wissen. »Ich habe mich doch gründlich umgesehen.«
»Manchmal braucht es einen Mimik, um das zu finden, was ein anderer Mimik versteckt.«
»Was bedeuten diese Symbole?«
»Sie sind Teil eines Codes – Eels persönlicher Code für seine Schablonen.«
»Wozu braucht er denn einen Code?«
»Aus demselben Grund, weshalb er das Etui versteckt hat – die Garderobe eines Mimik ist so etwas wie sein persönlicher Werkzeugsatz, damit arbeitet er. Sie können auch noch einen Schritt weitergehen und sagen, das ist es, was er ist. Und wenn man sich seinen Lebensunterhalt in der Mimikarena verdient, dann will man ganz sicher nicht, dass irgendeiner der Rivalen sich Zugang zu der Garderobe verschafft. Die könnten sonst verkrüppelte oder kranke Genome anstelle der Kampfschablonen dort einschmuggeln.«
Lani lachte. »Das könnte eine unangenehme Überraschung geben.«
»Das könnte den Tod bedeuten. Besonders, wenn sie Schmelzer in die Garderobe legen würden.«
»Was ist ein Schmelzer?«
»Ein speziell erzeugtes Genom, das mit jeder Art von Leben inkompatibel ist. Man fluxt in einen missgestalteten Protoplasmaklumpen ohne Herz, ohne Lungen, ohne Gehirn, oder vielleicht wird man auch in Urschleim umgewandelt. Was auch immer, von einem Schmelzer gibt es keine Rückkehr. Man ist tot.« Er deutete auf das Etui, und sein Finger kreiste über die Fächer. »Eine von den Schablonen hier ist ein Schmelzer.«
»Woher wissen Sie das?«
»Wir haben alle einen in unserer Garderobe.«
»In der Ihren auch?«
»Je etwas von russischem Roulette gehört? Es ist ein wunderbares Abschreckungsmittel. Ein anderer Mimik wird es sich zweimal überlegen, einem die Schablonen zu stehlen, wenn er weiß, dass eine davon ein Schmelzer ist.«
»Also würde Sie eine von den Schablonen hier töten, aber Sie wissen nicht, welche.«
»Richtig.«
»Warum waren Sie dann so erpicht darauf, diese Garderobe zu finden? Was nützt sie Ihnen?«
»Es könnte sein, dass ich aus der Lee-Masque in jemand anderen fluxen muss.«
»Aber was ist, wenn Sie die falsche Schablone erwischen?«
Er sah ihr in die Augen. »Dann sterbe ich.«
»Aber warum -?«
»Vertrauen Sie mir, ich würde das wirklich nur tun, wenn mein Leben davon abhängt – wenn es auf Fluxen oder Sterben hinausläuft.« Er klappte den Deckel des Etuis zu und hielt ihr das kleine Kästchen hin. »Das hier bietet mir zumindest eine Vier-zu-Fünf-Chance zum Überleben.«
»Russisches Roulette?«
Jetzt lächelte er. »Genau. Nur, dass das kein Spiel ist.«
Er stand auf und ging langsam durchs Wohnzimmer, berührte Gegenstände, strich mit seinen Lani-Händen über die Wände und das Mobiliar. Dann blieb er stehen und starrte mit einem merkwürdigen, sehnsuchtsvollen Blick ins Leere.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Ich will das«, flüsterte er.
»Diese Wohnung?«
»Dieses Leben. Ich will eine Identität haben; ich will jeden Tag dieselbe
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