Geheimakte Proteus
aktivierte. Welcher Avatar würde wohl diesmal erscheinen? Irgendwo da drinnen war auch Groucho. Er bezweifelte, dass er jetzt Witzeleien und buschige Augenbrauen, die ständig auf und ab zuckten, ertragen könnte.
»PDA«, sagte er und hätte Regis beinahe umarmt, als dieser auftauchte, gouvernantenhaft und ein wenig nervös und erregt.
»Lord Tristan, Mr. Cyrill hat alle fünfzehn Minuten Nachrichten ausgesandt. Er ist höchst erpicht darauf, dass Sie sofort nach der ID-Kontrolle zu ihm gehen.«
»Schön, dich wiederzusehen, Regis. Schon gut. Sobald ich im Gehege war, werden wir tauchen und -«
»Nein, Mylord. Mr. Cyrill will sich mit Ihnen nicht im Ocean treffen. Er wünscht Sie ›in Person‹ – im Turm.«
In Person.
Tristan sah durch die durchsichtige Wand der Rohrbahn hinaus, die jetzt durch einen der industriellen »Plexe« von Kaze glitt, ein Labyrinth aus kastenförmigen Stahl- und Glasstrukturen. Und dann zog die Bahn über eine Reihe von Hydrodomen hinweg, in denen die schnell wachsenden Pilzkulturen gezüchtet wurden, die die Basis für praktisch sämtliche auf dem Planeten konsumierten Nahrungsmittel darstellten. Aber er sah die Kuppeln kaum.
Cyrill wollte ein reales Treffen, von Angesicht zu Angesicht.
Das konnte nur eins bedeuten: Es ist so weit. Ich habe den Einsatz erfolgreich abgeschlossen. Ich bekomme die Selbstheit. Ich darf frei sein.
Wie Reals.
Dann dachte er an die Proteaner, brutale, gewalttätige Krieger … aber so stolz auf das, was sie waren, Mimiks, denen die Vorstellung zuwider war, dass jemand ihnen die Selbstheit geben könnte – sie nahmen sie sich.
Sein Blick fiel auf den mammuthaften Turm, der bis in die Wolken reichte, wo seine Nadelspitze nur zu erahnen war. Es hieß, der Turm sei das höchste Bauwerk der Welt, nur die Terra-Nova-Station, die die Erde umkreiste, sei größer. Und noch etwas war an dem Turm interessant … so hoch er auch in den Himmel ragte, er reichte ähnlich tief in die Erde hinein.
Tief und geheim. Nirgends im Ocean konnte man Pläne finden, zumindest keine, die man für verlässlich halten durfte. Kaze-Polizei war gut.
Ich bin beim richtigen Team, dachte Tristan.
Kaze-Polizei eskortierte ihn an den Umweltschleusen vorbei in die Mimik-ID-Kammer. Diesmal waren die Autowaffen scharf geschaltet und zielten auf ausgewählte Punkte auf seinem nackten Körper, als sein Roaming Grid durch die Reaktionssequenz lief.
Diese Prozedur erzeugte in ihm jedes Mal ein unbehagliches Gefühl. Was würde sein, wenn seine Codes während eines Einsatzes irgendwie korrumpiert worden waren? Wenn sein Gitter nicht die richtigen Antworten lieferte, würde er gelähmt und in eine Verhörzelle geschafft werden und würde dort beweisen müssen, dass er Tristan, der Kaze-Mimikagent, war.
Aber wie beweist ein Mimik, wer er ist?
Er hörte ein leises Surren und seufzte, als er sah, wie die Mündungen der Waffen sich von ihm wegdrehten. Er hatte die Prüfung bestanden.
Sein Roaming Grid blitzte vor ihm, und jetzt stellte er fest, dass die Universalfreischaltung gelöscht worden war. Eine Aufwallung von Panik erfasste ihn. Eine kurze Zeit hatte er das Recht gehabt, überallhin zu gehen. Aber das fremde Element war entdeckt und entfernt worden, als sie sein Grid gescannt hatten.
Egal, sagte er sich. Er war der Selbstheit so nahe. Selbstheit und echte Freiheit. Er würde überallhin gehen, alles tun dürfen.
Und er hatte den Schlüssel noch. Den würde er behalten. Nicht dass er ihn brauchen würde. Bloß ein Souvenir. Sobald er einmal frei war, gab es kein Roaming Grid mehr und auch keinen Schlüssel.
Er lachte bei dem Gedanken. Wohin würde er gehen, was würde er tun? Das war das Köstliche daran. Zu überlegen und zu entscheiden und dann einfach zu gehen.
Sein Grid war jetzt auf modifizierten Heimatmodus reprogrammiert worden – auf das Mimikgehege beschränkt, aber dazu ein schmaler Weg zum Turm. Er stand auf.
»Agent Tristan?«
Er drehte sich um und sah eine junge Frau in der Tür stehen. Sie trug einen weißen Jumpsuit und eine weiße Kappe. In der rechten Hand hielt sie einen hellgrünen Plastikbehälter.
»Der bin ich.«
»Ich komme von Data. Haben Sie die Probe?«
»Ja, hier.«
Er beugte sich leicht vor und löste die Probentasche von der Innenseite seines Oberschenkels. Als er aufblickte, sah er, dass sie näher getreten war; ihre Augen hatten sich geweitet, als sie seine zahlreichen Prellungen und Verletzungen sah.
»Haben Sie Schmerzen?«
»Ich
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