Geheimbünde: Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand (German Edition)
in einer Millionenstadt.
Mithras-Taumel in London
An einem Wochenende Mitte Oktober 1954 begann das Spektakel um Mithras, das beinahe die konservative Regierungsmehrheit bedroht hätte und auch dem deutschen «Spiegel» einen ausführlichen Artikel wert war. Dass der unterirdische Tempel im einstigen Londinium, der Hauptstadt der römischen Provinz Britannien, gerettet wurde, ist schließlich Winston Churchill und der «Times» zu verdanken.
Das betreffende Haus in der Londoner City, unweit der Bank von England, war im Krieg durch deutsche Bomben zerstört worden und sollte mit einem vierzehnstöckigen Gebäude wieder aufgebaut werden. Beim Ausschachten rief der Arbeiter Sam Watson dem anwesenden Archäologen W. F. Grimes zu, er habe einen alten Stein gefunden. Der entpuppte sich als das Haupt des Gottes Mithras, ein Marmorkopf von bemerkenswerter Schönheit.
Und dann begann ein Krimi. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Der Tempel des Lieblingsgottes der römischen Soldaten sollte 48 Stunden später von Baggern zerstört werden, um das Fundament für den Neubau zu legen. Die «Times», die von dem Fund gehört hatte, berichtete am Montagmorgen in einem wütenden Leitartikel über das Vorhaben. Sir David Eccles, der Minister für öffentliche Arbeiten, las den Artikel im Bett, erkannte den Zündstoff, griff zum Telefon, überredete den Eigentümer, die Arbeiten einzustellen, und erschien wenige Stunden später auf dem Bauplatz. Der Tempel an einem umgeleiteten Bach war mit seinem Altar 18 Meter lang und sechs Meter breit. Errichtet im frühen 2. Jahrhundert, wurde er Ende des 4. wieder aufgegeben, also zur Zeit der Heidenverfolgungen. Weitere Köpfe von Götterstatuen wurden freigelegt. Sie waren sorgfältig von den Rümpfen der Statuen abgetrennt und vergraben worden. Die Wissenschaftler glauben, dass sie vor den christlichen Bilderstürmern gerettet werden sollten in der Hoffnung, das Heidentum werde einst wiederauferstehen. In der Nähe des Mithras-Kopfes wurden Münzen aus der Zeit Konstantins I. entdeckt, keine späteren.Die Archäologen schließen daraus, dass das Vergraben der Köpfe im 4. Jahrhundert geschah und mit dem Aufstieg des rivalisierenden Christentums zusammenhing.
Kaum hatten sich die Funde herumgesprochen, begann der Mithras-Hype. Die Engländer, ob ihrer skurrilen Vorlieben uns Deutschen zuweilen verdächtig, entwickelten eine merkwürdige Faszination für einen vor 1600 Jahren untergegangenen Kult, als Britannien eine Kolonie am äußersten Ende einer Großmacht war. Tausende standen geduldig Schlange, um an gerade hüfthohen, unscheinbaren Mauerresten des kleinen Tempels vorbeizudefilieren. Winston Churchill ließ sich täglich vom Minister berichten. Am Sonnabend schließlich schwoll die Menge auf 35 000 Besucher an. Der Verkehr in der Londoner City brach zusammen. Um die Massen zu bändigen, wurden berittene Polizei und Lautsprecherwagen eingesetzt. Churchill erkannte, dass die Zerstörung des Tempels sogar einen politischen Schaden für die Konservativen bringen könnte. Das Kabinett, eigentlich mit der Neun-Mächte-Konferenz beschäftigt,beriet über das Problem. Schließlich erklärte sich der Eigentümer des Grundstücks bereit, den Mithras-Tempel Stein für Stein abzutragen und in einer anderen Ecke des Grundstücks wieder aufzubauen. Darum sind die Überreste heute noch erhalten. Es wurde die ganze ausgegrabene Anlage um einige Dutzend Meter an die Queen Victoria Street verlagert. Doch jetzt wird der Tempel wieder an den originalen Fundort versetzt, die Rekonstruktion behutsam zurückgebaut. Auf dem Bloomberg-Platz wird er zu besichtigen sein.
Mithras-Hype in London, dem römischen Londinium: aktuelle Ausgrabung des Tempels am Bloomberg-Platz
Das Abtragen des Tempels und die Verschiebung des Baubeginns kosteten den Eigentümer umgerechnet etwa 200 000 Mark, ein Vermögen 1954. Das beunruhigte auch andere Eigentümer von zerbombten Grundstücken in der Innenstadt. Dort nahmen nämlich etliche Archäologen vor Neubaubeginn die Chance wahr, in den Ruinen, die das einstige Londinium bedeckten, zu graben. Nachdem man nun wusste, wie teuer so ein Mithras-Fund werden konnte, ließen sich einige bei Lloyd’s of London dagegen versichern aus Sorge, dass auch auf beziehungsweise unter ihrem Grund und Boden ein Mithras-Heiligtum existiere. Schließlich wirbt Lloyd’s mit «Wir versichern alles».
Antike Mysterien
In London sind nur ein paar versetzte Mäuerchen zu sehen,
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