Geheimcode Schreckenstein
handlichen Gerät zurück.
„Zärtlich!“ quakte es auch am anderen Ende der drahtlosen Leitung im oberen Korridor des Südflügels. Dann blieb es lange still. Sekunden vergingen, als wären es Minuten, bis ein schwaches Rascheln hörbar wurde, als ob jemand in einer Windjacke die Arme bewegt. Atmen kam dazu, aufgeregtes Atmen, plötzlich ein dumpfer Stoß, ein unterdrückter Schmerzenslaut.
„Da steht was im Weg!“ flüsterte eine Stimme.
Eine Taschenlampe blitzte auf, rötlich schimmerten Finger über dem Glas des Reflektors. In dem Licht, das die Finger nur spaltbreit durchließen, zeichnete sich auf der inneren Korridorseite unter zwei Fenstern zum Hof ein seltsamer Gegenstand ab. Er war etwa fünf Meter lang, einen Meter breit, einen halben Meter hoch und mit einer großen Plane bedeckt, auf der mehrere Bretter und Balken lagen.
„Was ist denn das?“ fragte eine Stimme sehr leise. „Anscheinend irgendwelches Baumaterial“, antwortete eine andere.
Der Lichtkegel wanderte auf die gegenüberliegende Seite zu einer Tür und blieb auf einem kleinen Schildchen stehen, das mit einem Reißnagel befestigt war. Das Atmen wurde lauter. Aus dem Dunkel tauchte eine Hand auf, die Fingerknöchel klopften gegen die Tür, und eine Stimme sagte halblaut: „Herr Schaja! Herr Schaja!“
Da keine Antwort kam, klopften die Fingerknöchel ein zweites Mal, und die Stimme wiederholte den Namen. Bei zunehmender Lautstärke wiederholte sich der Vorgang ein drittes, viertes und fünftes Mal. Dann wurde die Klinke kraftvoll gedrückt.
„Zu!“ flüsterte eine Stimme.
Der Lichtkegel wanderte zum Schlüsselloch. Leicht zitternd schob sich ein Draht hinein, tiefer, immer tiefer, ohne auf Widerstand zu stoßen.
„Steckt kein Schlüssel!“ flüsterte dieselbe Stimme wie vorher.
„Moment“, antwortete eine andere.
Der Draht wurde herausgezogen, ein Dietrich tauchte ein. Nach längerem Herumstochern klickte das Schloß und gleich noch einmal. Die Klinke wurde wieder gedrückt, die Tür ließ sich öffnen, die beleuchtete Hand verschwand ins Zimmer und kam wieder heraus.
„Ausgeflogen!“ flüsterte eine Stimme.
„Scheibenkleister!“ sagte eine andere.
Bretter klapperten leise, mehrere Gestalten ließen sich auf dem sperrigen Gegenstand nieder und flüsterten durcheinander.
„Ob der Wind gekriegt hat?“
„Quatsch.“
„Vielleicht sitzt er noch bei einem Kollegen?“
„Um die Zeit doch nicht!“
„Der hat sicher eine Freundin in Neustadt und kommt erst morgen früh wieder.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Abhauen, bevor uns irgendein Depp erwischt.“
„So ein Mist!“
Nochmals Brettergeklapper und Windjackengeraschel, das sich entfernte, bis nichts mehr zu hören war.
Nach Sekunden völliger Stille raschelte die Plane. Ein leises Klicken, dann eine Stimme.
„Tante geküßt. Keine Salami!“
„Gänseblümchen!“ quakte es leicht verzerrt.
Die Nebelfabrik auf dem Kappellsee arbeitete in dieser Nacht mit unterschiedlichem Eifer. Es gab Abschnitte, da sah man den Bug des eigenen Bootes nicht mehr, dann wieder leuchtete der Mond eine größere Fläche aus, wie Flutlicht einen Fußballplatz. Oder es lagerten Schwaden auf dem Wasser, mehr oder weniger dicht. Und der Wechsel von sehen, begrenzt sehen bis nichts sehen erschwerte die Orientierung. Wenn der Mond voll durchkam, wußte man widersprüchlicherweise überhaupt nicht mehr, wo man war.
Trotz dieser erschwerenden Umstände hielten die kühnen Seefahrer, die sich hinausgewagt hatten, erstaunlich gut Kurs. Die Besatzung der beiden Boote mußte ihn mehrfach geändert haben, denn ein Ufer zeichnete sich auch nach 5000 Ruderschlägen immer noch nicht ab. Statt dessen tauchte aus einem Nebelschleier mit leisem Surren ein größeres Boot auf.
Beabsichtigt war die Begegnung nicht, wie aufgeregtes Tuscheln in allen Booten bewies. Das größere Boot, an dem noch ein kleineres, sozusagen eine unbemannte Nußschale, hing, wollte einen Bogen um die beiden Ruderboote machen, holte aber nicht weit genug aus und geriet genau dazwischen. Während der Steuermann, um einen Zusammenstoß mit dem linken Boot zu vermeiden, seinen Bogen noch enger zog, gelang es einem der Ruderer aus dem rechten, nach der angehängten Nußschale zu greifen und sie festzuhalten.
Die Gestalt auf der Sitzbank sprang hinüber und versuchte stehend, mit einem Ruder, die Schraube des großen Bootes zu blockieren – ein klarer Fall von Piraterie.
Da seine Absicht nicht auf Anhieb
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