Geheime Depeschen #2
geblieben.
William kam mit zwei großen Tabletts um die Ecke jongliert und tat, als geriete er ins Stolpern. „Hui, jetzt hätten wir fast vom Boden essen müssen“, kommentierte er seine Slapstick-Einlage. Christine war sichtlich erleichtert. Ihre ursprüngliche Anspannung wich der Freude über die plötzlich wiedererlangte Unbekümmertheit ihres Sohnes.
„Für heute Mittag hat sich Christian angekündigt.“ Vince saß am Tisch und hatte bereits den ersten Toast verdrückt. „Wir werden gemeinsam einen Schlachtplan machen müssen.“
William zog die Augenbrauen hoch. „Wie gut, dass wenigstens einer von uns eine militärische Ausbildung genossen hat.“
„Ha, ha, Witzbold!“, nuschelte Vince, der gerade von seinem zweiten Toast abgebissen hatte. „Wir müssen aus der Defensive heraus. Angriff ist die beste Verteidigung. Deshalb brauchen wir auch eine Strategie. Auf der anderen Seite stehen die mit dem Weißkopfseeadler, und die scherzen nicht“
„Was hast du vor?“ William wurde neugierig. Er wusste, dass Vince der beste Stratege der Gruppe war.
„Erst essen, dann denken“, mahnte ihn Vince zur Geduld.
Christine, die das Geplänkel amüsiert verfolgt hatte, mischte sich jetzt ebenfalls ein: „Ich bestehe jedoch darauf, mitzudenken.“
„Ist das was für Mädchen?“, alberte William.
„Oh ja, sehr sogar, es kommen nämlich auch Mädchen in unserer Strategie vor“, konterte Vince.
„Wie, Mädchen?“ William verstand gerade gar nichts.
„Jetzt nicht, erst essen, dann denken, das sagte ich doch bereits.“
“Dann werden wir uns halt gedulden müssen, bis Christian kommt.“
William hatte gerne das letzte Wort, doch Vince war darin ebenfalls ein Meister. „Eben“, antwortete er knapp
„Genau“, gab William zurück.
„So soll es sein.“ Vince und William hatten offensichtlich großen Spaß an diesem Spiel.
„Für heute, morgen und Übermorgen“, konterte William ein weiteres Mal.
„Und bis in alle Ewigkeit.“ Vince ließ fast sein Rührei auf den Boden fallen, so heftig musste er bei diesem Kommentar lachen.
„Amen! Und Schluss, ihr beiden.“ Christine erwies sich wieder einmal ganz als Mutter. Vince und William grienten sich wie kleine Schuljungs an. Kinder, dachte Christine, immer noch Kinder.
Langley, Washington D.C., 17.12.2010
Assistent Director Miller war außer sich. Die Freilassung Lagranges war für ihn eine persönliche Niederlage. Gab es denn nichts, womit man diesen Kerl fassen konnte? Lagrange kam ihm vor wie ein glitschiger Aal, der einem immer wieder entwischte.
„Die ganze USA gegen einen Mann, und wir sind nicht in der Lage, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Ich bitte sie, Mr. President, gibt es denn keine Möglichkeit zu einer Gesetzesänderung?“ Miller lief mit dem Telefon am Ohr im Kreis um seinen Schreibtisch herum. Auf dem Teppich hatte er schon deutliche Spuren hinterlassen. Der Weg, den er unter seinem Gewicht mit seinen Schuhen hinterlassen hatte, glich einem Rennparcours für Vieltelefonierer.
„Ja, Mr. President, das versuchen wir ja schon die ganze Zeit, aber ohne Ihre Unterstützung …“ Miller wurde in seinen Darlegungen immer wieder unterbrochen.
„Ja, aber … na gut, wir kümmern uns um den Obergefreiten, der Whistleblow die Daten zugespielt hat. Ja … ich ihnen auch“
Der Präsident hatte aufgelegt, Miller hielt den Hörer noch in der Hand und hätte ihn am liebsten auf seinem Schreibtisch zertrümmert. Er entschied sich dagegen.
„Er hat natürlich nicht ganz unrecht“, sinnierte Miller weiter laut vor sich hin, „konzentrieren wir uns auf diesen Verräter aus den eigen Reihen und bieten ihm einen Deal an.“ Miller riss die Tür auf und brüllte durch den Flur: „Sofort, jetzt, Krisensitzung!“
Die Vorzimmerdame wusste, was jetzt zu tun war. Ihre Telefonanlage verfügte über Programmierungen, die bei bestimmten Personenkreisen, je nach Situation, unterschiedliche Klingeltöne auslöste. Die Eingeweihten wussten dann sofort, was sie zu tun hatten. So dauerte es auch heute nicht lange, bis sich Millers Büro füllte und der Assistant Director ohne lange Vorrede seine Anweisungen gab.
„Erstens, dieser Obergefreite ‘ihrwisstschonwer‘ - keine Folter mehr, jedenfalls für den Augenblick.“
Miller schaute sich um und prüfte die Reaktionen in den Gesichtern seiner Mitarbeiter. Seit den letzten Erfahrungen mit Whistleblow war leider nicht mehr auszuschließen, dass am Ende nicht auch noch ein Maulwurf in
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