Geheime Lust
zurückschrak.
»Mir fehlt nichts«, schwindelte sie. »Ich bin nur hingefallen. Ich hatte gehofft …« Ihre Kehle wurde so eng, dass sie kaum weitersprechen konnte. »Ich hatte gehofft, für heute Nacht hier unterzukommen.« Noch während sie den Satz beendete, machte sie sich schon auf eine Absage gefasst, konnte den Gedanken jedoch nicht ertragen.
»Aber natürlich, Kind. Kommen Sie, und setzen Sie sich. Ich hole Ihnen eine Tasse heißen Kakao, und sobald Sie sich aufgewärmt haben, können Sie etwas essen.«
Ihre Erleichterung war unermesslich. Sie erfasste ihren ganzen Körper und hätte sie fast von den Beinen gerissen. Bethany erkannte das Mitgefühl und die Freundlichkeit in den Augen der Frau und entspannte sich, als die Euphorie einsetzte. Sie hatten heute Nacht einen Schlafplatz für sie! Und Essen! Sie hätte vor Freude weinen können.
Sie folgte der Helferin, dabei beäugte sie die anderen Frauen. Es schienen mehr zu sein als beim letzten Mal, als Bethany hier um Obdach nachgesucht hatte. Aber damals war kein Platz für sie frei gewesen. Hatten sie sich vergrößert? Mehr Betten aufgestellt?
»Ich bin Kate«, stellte die Frau sich vor, als sie bei einem Stuhl, der ein wenig abseits von den anderen stand, stehen blieb. »Setzen Sie sich. Ich hole Ihnen einen Kakao, danach besorgen wir Ihnen etwas zu essen. Außerdem muss sich jemand Ihre Wunden ansehen.«
»Danke, Kate«, erwiderte Bethany mit belegter Stimme. »Ich bin Ihnen unendlich dankbar.«
Kate drückte sie auf den Stuhl und tätschelte ihr die Hand. »Ich bin sofort zurück. Es kommt alles in Ordnung, Liebes.«
Verwirrt über die seltsame Versicherung, sackte Bethany völlig entkräftet auf dem Stuhl in sich zusammen. Sie vergrub ihre zitternden Finger in ihrem dünnen T-Shirt, in der Hoffnung, sie so schneller zu wärmen. Die Schnitte brannten, aber zum Glück waren sie nicht tief.
Ihr Blick fand Kate, die in der Kochnische umherwuselte und den Kakao zubereitete. Dabei drückte sie ein Handy ans Ohr, und es war nicht zu übersehen, dass sie etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Einen Augenblick später steckte sie das Telefon wieder ein und nahm die Tasse aus der Mikrowelle. Nachdem sie umgerührt hatte, trug sie den dampfenden Becher zu Bethany und drückte ihn ihr sanft in die Hände.
»Hier bitte, Liebes. Trinken Sie. Er ist heiß. Jetzt fügt sich alles zum Guten. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Es war das zweite Mal, dass sie ihr dieses blinde Versprechen gab, aber Bethany war zu müde, um näher darauf einzugehen. Wäre sie nicht so hungrig und ausgekühlt gewesen, hätte sie sich einfach auf einer der Pritschen zusammengerollt und die nächsten vierundzwanzig Stunden durchgeschlafen. Oder wann immer man sie wieder auf die Straße setzen würde.
Jace saß in seinem Büro und starrte missmutig auf die Dokumente, die sich vor ihm stapelten. Es waren inzwischen zwei geschlagene Wochen vergangen, seit Bethany sich davongestohlen hatte, und er war keinen Schritt näher daran, sie zu finden, als an jenem ersten Morgen. Was allerdings nicht an seinem mangelnden Einsatz lag.
Die Arbeit war die reinste Tortur. Die meisten seiner Mitarbeiter mieden ihn. Sogar Gabe und Ash hielten Abstand. Zum Glück wurde Mia so sehr von ihren Hochzeitsvorbereitungen in Anspruch genommen, dass sie Jace’ Zerstreutheit und schlechte Laune nicht zu bemerkten schien.
In nicht einmal einer Woche war Weihnachten, und er ertrug den Gedanken nicht, dass Bethany allein dort draußen in der Kälte war, ohne ein Bett, ohne Essen. Ohne
irgendetwas
.
Er ballte die Faust und hätte am liebsten ein Loch in seinen Schreibtisch geschlagen.
Die Tür ging auf, und ihm lag schon eine scharfe Zurechtweisung auf der Zunge, weil man ihn in seiner Privatsphäre störte, als Ash eintrat. Etwas in der Miene seines Freundes veranlasste ihn, seinen Unmut zu zügeln.
Ash war … Nun ja, er war eben Ash. Respektlos. Unsensibel. Selten ernst. Aber heute wirkte er sehr ernst. So, als hätte er etwas Wichtiges auf dem Herzen.
»Na, macht dir deine Familie wegen Weihnachten die Hölle heiß?«, brummte Jace.
Es gab eine Sache, die Ash wirklich unter die Haut ging: seine Familie. Er verbrachte den Großteil seiner Zeit – und seiner Urlaube – mit Jace und Mia. Sie waren erst vor ein paar Wochen über Thanksgiving mit Mia in die Karibik geflogen, um ihr dabei zu helfen, ihren Liebeskummer zu bewältigen, nachdem Gabe Schluss gemacht hatte – was zum Glück nur ein kurzer
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