Geheime Melodie
nicht zugegen war und da komplexe landwirtschaftliche Fragen nicht in seinen juristischen Zuständigkeitsbereich fallen, lehnt er jegliche Verantwortung für die agrartechnischen Einzelheiten des Vertrags ab, über welche im Streitfall vor Gericht entschieden werden muß. Während ich übersetze, meide ich Hajs Blick konsequent.
Philip fordert alle Vertragspartner auf, nach vorn zu kommen. Wie Kommunionskinder stellen sie sich einer hinter dem anderen auf, angef ührt von Franco. Der Mwangaza, zu bedeutend, um Schlange zu stehen, hält sich etwas abseits, flankiert von seinen Gehilfen. Haj, den ich weiterhin geflissentlich übersehe, bildet die Nachhut. Franco beugt sich über meine SwahiliFassung, will schon unterzeichnen, da fährt er zornig zurück. Hat er eine Beleidigung entdeckt, ein schlechtes Omen? Und wenn nicht, warum werden ihm dann plötzlich die Augen naß? Das schlimme Bein hinter sich herziehend, dreht er sich um, so daß er Auge in Auge mit Dieudonné dasteht, seinem oftmaligen Feind und jetzt, für die Dauer welcher Zeit auch immer, seinem Waffenbruder. Seine gewaltigen Pranken ballen sich auf Schulterhöhe zu Fäusten. Will er seinen neuen Freund zum Einstand in Stücke reißen?
»Tu veux?« blafft er auf französisch – willst du das hier?
»Je veux bien, Franco« , erwidert Dieudonné leise – worauf die beiden Männer sich in die Arme fallen, so ungestüm, daß ich um Dieudonnés Rippen fürchte. Es folgen Rempler und Püffe. Franco, Tränen in den Augen, unterschreibt. Dieudonné schubst ihn weg und will ebenfalls unterzeichnen, aber Franco packt ihn am Arm: erst noch eine Umarmung! Schließlich kommt auch Dieudonné zu seiner Unterschrift. Haj verschmäht den bereitliegenden Füllfederhalter und zückt schwungvoll einen seiner eigenen. Ohne auch nur einen Blick auf den Text krakelt er eine wüste Unterschrift aufs Papier, zweimal – einmal für die SwahiliFassung, einmal für die französische. Philip applaudiert als erster, dann f ällt das Lager des Mwangaza ein. Ich klatsche mit, was das Zeug hält.
Unsere Damen erscheinen mit Champagner. Wir sto ßen an, Philip spricht einige wohlgesetzte Worte im Namen des Syndikats, der Mwangaza antwortet würdevoll, ich übersetze mit Verve. Man dankt mir, wenn auch nicht überschwenglich. Ein Jeep fährt im Hof vor. Der Mwangaza enteilt mit seinen Gehilfen. Franco und Dieudonné stehen in der Tür, halten sich nach Afrikanerart bei den Händen und rangeln, während Philip sie in Richtung Jeep zu scheuchen versucht. Haj derweil streckt mir die Hand hin. Ich nehme sie vorsichtig, weil ich ihm nicht weh tun will und auch, weil ich nicht weiß, wie die Geste gemeint ist.
»Haben Sie eine Visitenkarte?« fragt er. »Kann sein, daß ich ein Büro in London aufmache. Da könnte ich Sie vielleicht mal brauchen.«
Ich greife in die Taschen meines schwei ßdurchtränkten Tweedsakkos und fische ein Kärtchen heraus: Brian Sinclair, beeidigter Dolmetscher, wohnhaft in einem Postfach in Brixton. Er betrachtet es, betrachtet mich. Dann lacht er, aber nur leise, nicht das Hyänenkeckern, das wir von ihm gewohnt sind. Zu spät wird mir klar, daß er schon wieder auf Shi mit mir gesprochen hat, wie vorhin auf der Treppe zum Pavillon mit Dieudonné.
»Und wenn Sie mal nach Bukavu kommen möchten, schicken Sie mir eine Mail«, fügt er lässig hinzu, diesmal auf Französisch, und zieht aus den senfgelben Tiefen seines Jacketts ein Kartenetui aus Platin.
Seine Karte ist vor meinem geistigen Auge abgedruckt, w ährend ich dies schreibe. Sie mißt gut acht mal fünf Zentimeter, mit Goldschnitt. Auf einer Borte innerhalb des Goldrands tummelt sich die Tierwelt Kivus von heute und einst: Gorilla, Löwe, Gepard und Elefant, ein ganzes Bataillon von Schlangen in fröhlichem Reigen, aber keine Zebras. Als Hintergrund scharlachrote Berge vor einem zartrosa Himmel, und auf der Rückseite die Silhouette eines beinewerfenden Revuegirls mit Champagnerglas in der Hand. Hajs Name und seine mannigfachen Qualifikationen sind mit dem Gepränge eines königlichen Erlasses aufgeführt, erst auf Französisch, dann Englisch, dann Swahili. Darunter kommen seine Geschäftsanschrift und die Privatadresse in Paris und Bukavu, gefolgt von einer Vielzahl von Telefonnummern. Und als ich die Karte noch einmal umdrehe, entdecke ich neben dem Revuegirl eine hastig mit Tinte gekritzelte E-Mail-Adresse.
* * *
Drau ßen im Bogengang sah ich mit Genugtuung, daß Spider und seine Gehilfen schon
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