Geheime Melodie
auf alle Plätze verteilte. Weder an seiner Kleidung noch an seiner sonstigen Erscheinung wies irgend etwas auf kürzliche körperliche Ertüchtigung hin. Seine Fingerknöchel waren leicht gerötet, ansonsten keine Schrammen. Schuhspitzen blitzblank, Bügelfalten rasiermesserscharf. Benny war nirgends zu sehen: Grund genug für mich zu glauben, er habe die Mittagspause über Kindermädchen für Jasper gespielt.
Da weder von Philip noch von Haj etwas zu sehen war, fa ßte ich Tabizi ins Auge, der unruhig wirkte. Aber wie auch nicht, schließlich stand die Bahnhofsuhr auf zwanzig nach vier, und die Stunde der Wahrheit nahte. Neben ihm saß sein Herr und Meister, der Mwangaza. So wie die Sonne auf seinem Sklavenhalsband blitzte und sein weißes Haar zum Heiligenschein erstrahlen ließ, schien unser Lichtbringer die perfekte Verkörperung von Hannahs sämtlichen Träumen. Konnte er tatsächlich derselbe sein, der in meiner Phantasie den Volksanteil für die schweigende Duldung durch die Profitgeier in Kinshasa verkauft hatte?
Auf des Mwangazas anderer Seite schmunzelte der glatte Delphin sein frohgemutes Delphinschmunzeln.
Und was Maxie betraf, so l ümmelte der sich neben Philips leerem Stuhl, die Beine weit ausgestreckt, und sein bloßer Anblick reichte schon aus, um mich zu überzeugen, daß ich derjenige mit der verzerrten Wahrnehmung war und alle rings um mich die, die sie zu sein behaupteten.
Wie zur Best ätigung erscheint durch die innere Tür mein Retter Philip. Er winkt Dieudonné und Franco zu. Als er an Tabizi vorbeigeht, murmelt er ihm etwas ins Ohr. Tabizi quittiert es mit ausdruckslosem Nicken. Dann kommt er zu dem Platz, der für Haj reserviert ist, zaubert einen zugeklebten Umschlag aus seiner Jackentasche hervor und schiebt ihn wie ein Trinkgeld in die ockerfarbene Mappe, die unseres säumigen Delegierten harrt. Erst danach nimmt er seinen Sitz am anderen Ende des Tisches ein, und mit meiner Verdrängungsphase – danke, Paula – ist es gründlich vorbei. Ich weiß, daß Philip mit London gesprochen und sich zu dem Mann durchstellen lassen hat, der ja sagt. Und so finster, wie Tabizi schaut, weiß ich auch, daß Haj die Schwäche des Syndikats richtig eingeschätzt hat: Die Vorbereitungen sind zu weit fortgeschritten, jetzt aufgeben käme zu teuer, sie haben schon so viel investiert, daß sie ebensogut noch etwas nachlegen können, und mit einem Rückzieher zu solch spätem Zeitpunkt verspielen sie eine Chance, wie sie sich ihnen so bald nicht noch einmal bietet.
Im selben harschen Licht der Realit ät betrachte ich mir den Mwangaza von neuem. Ist sein Heiligenschein gefönt? Haben sie ihm einen Ladestock das Rückgrat hinuntergerammt? Ist er längst tot und nur im Sattel festgebunden wie El Cid? F ür Hannah war er in den Glorienschein ihres Idealismus getaucht, aber nun da ich einen klaren Blick auf ihn habe, offenbart sich in seinen zerknitterten Zügen die ganze traurige Abwärtskurve seines Lebens. Unser Lichtbringer ist ein Gescheiterter. Er war tapfer – man sehe sich seine Vita an. Er war ein Leben lang gewitzt, gewissenhaft, loyal und einfallsreich. Er hat alles richtig gemacht, aber die Krone ging jedesmal an den Mann neben oder den Mann unter ihm. Und das lag daran, daß er nicht rücksichtslos genug war, nicht korrupt genug, nicht doppelzüngig genug. Diesmal wird er es sein. Er wird das Spiel mitspielen, gegen alle seine Überzeugungen. Und die Krone ist zum Greifen nahe, doch was nützt das? Denn sollte er sie jemals tragen dürfen, so wird sie den Leuten gehören, an die er sich auf seinem Weg an die Spitze verkauft hat. Jeder seiner Träume ist mit einer zehnfachen Hypothek belastet. Allen voran der Traum, er müßte, wenn er erst an der Macht ist, seine Schulden nicht mehr begleichen.
Haj ist erst ein paar Minuten überfällig, aber auf mich wirkt es wie eine Ewigkeit. Alle um den Tisch haben ihre ockerbraune Mappe aufgeschlagen, also schlage ich meine auch auf. Das Dokument darin kommt mir bekannt vor, was nicht weiter verwunderlich ist, schließlich habe ich es in einem früheren Leben aus dem Französischen ins Swahili übersetzt. Beide Versionen sind im Angebot. Dazu ein Dutzend Seiten imposanter Zahlen und Berechnungen, alle, soweit ich sehen kann, für eine ferne Zukunft veranschlagt: Fördermengen, Transportkosten, Lagerkosten, Absatz volumen, Gewinne, alles feinste Sch ätzungen, alles gröbster Betrug.
Jetzt hebt Philip das gepflegte wei ße Haupt. Ich sehe es am
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