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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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sollten uns schlafen legen, sch üttelte sie nur heftig den Kopf und sagte, sie müsse das Lied noch einmal hören.
    »Hajs Lied. Das er gesungen hat, nachdem sie ihn gefoltert hatten.«
    »Jetzt?«
    »Jetzt.«
    Da ich ihr nichts abschlagen mochte, holte ich die entsprechende Kassette aus dem Versteck.
    »Hast du die Visitenkarte noch, die er dir gegeben hat?«
    Ich reichte sie ihr. Sie betrachtete die Vorderseite und l ächelte schwach über die Tiere. Dann drehte sie sie um und sah sich nachdenklich die Rückseite an. Sie setzte den Kopfhörer auf, schaltete den Kassettenrecorder ein und versank in ein unergründliches Schweigen. Ich faßte mich derweil in Geduld.
    »Hast du deinen Vater geachtet, Salvo?« fragte sie, als sie sich das Band zweimal angehört hatte.
    »Aber natürlich. Sehr sogar. Und du deinen doch sicher auch.«
    »Haj achtet seinen Vater ebenfalls. Er ist Kongolese. Er achtet seinen Vater und gehorcht ihm. Glaubst du wirklich, er kann ohne einen Beweis in der Hand zu seinem Vater hingehen und zu ihm sagen: ›Vater, dein lebenslanger Freund und politischer Weggefährte, der Mwangaza, ist ein Lügner‹? Wo er doch nicht einmal die Spuren der Folter vorweisen kann, wenn seine Peiniger ihre Arbeit gut gemacht haben!«
    »Hannah, bitte. Du bist todmüde, und du hattest einen furchtbaren Tag. Komm ins Bett.« Ich legte ihr die Hand auf die Schulter, aber sie schob sie sacht beiseite.
    »Er hat für dich gesungen, Salvo.«
    Ich gab zu, da ß das auch mein Eindruck gewesen war.
    »Und was meinst du, was er dir damit sagen wollte?«
    »Daß er überlebt hat. Und daß wir ihn am Arsch lecken sollen.«
    »Und warum hat er dir dann seine E-Mail-Adresse gegeben? Die Schrift ist zittrig. Er hat sie dir aufgeschrieben, nachdem sie ihn gefoltert hatten, nicht vorher. Warum?«
    Ich fl üchtete mich in einen schlechten Witz. »Wahrscheinlich, weil er mit mir in seinen Nachtclubs einen draufmachen will.«
    »Haj will dir sagen, daß du dich mit ihm in Verbindung setzen sollst, Salvo. Er braucht deine Hilfe. Er sagt: Hilf mir, schick mir deine Aufnahmen, schick mir die Beweise für das, was sie mir angetan haben. Er braucht die Beweise. Und er will sie von dir.«
    War es Nachgiebigkeit meinerseits oder lediglich Taktik? Meiner festen Überzeugung nach war Haj ein Playboy, kein Ritter in schimmernder Rüstung. Französischer Pragmatismus und das süße Leben hatten ihn korrumpiert. Die drei Millionen Dollar bis Montag abend waren der Beweis dafür. Sollte ich ihre Illusionen zerstören oder mich lieber auf einen Handel mit ihr einlassen, aus dem mit einiger Sicherheit sowieso nichts werden würde?
    »Du hast recht«, sagte ich. »Er will die Beweise. Wir schicken ihm die Aufnahmen. Anders geht es nicht.«
    »Wie?« fragte sie mißtrauisch.
    Es sei kinderleicht, versicherte ich ihr. Man brauche blo ß irgendwen zu finden, der die technischen Möglichkeiten habe – einen Toningenieur zum Beispiel oder jemanden aus einem Plattenladen. Dann lasse man sich das Band in eine Audiodatei umwandeln und schicke es per E-Mail an Haj. Finito.
    »Nein, Salvo, nicht finito.« Sie zog bedenklich die Stirn kraus, während sie versuchte, nun ihrerseits auf meinen Standpunkt umzuschwenken.
    »Warum nicht?«
    »Du begehst ein schweres Verbrechen. Haj ist Kongolese, und du willst ihm britische Geheimnisse verraten. Im Herzen bist du Brite. Lassen wir es lieber bleiben.«
    Ich holte einen Kalender. Bis zu Maxies geplantem Coup seien es noch elf Tage, sagte ich und kniete mich neben sie. Es habe also keine extreme Eile, oder?
    Wahrscheinlich nicht, pflichtete sie mir zweifelnd bei. Doch je mehr Zeit Haj blieb, desto besser.
    Schon, aber ein paar Tage k önnten wir auf jeden Fall noch warten, entgegnete ich listig. Sogar eine Woche würde nicht schaden, schob ich nach – ich dachte an das gemächliche Tempo, in dem Mr. Anderson seine Wunder vollbrachte.
    »Eine Woche ? Wieso sollen wir eine Woche warten?« Wieder runzelte sie die Stirn.
    »Weil wir es ihm dann vielleicht gar nicht mehr schicken müssen. Vielleicht bekommen sie kalte Füße. Sie wissen ja, daß wir an der Sache dran sind. Vielleicht blasen sie das Ganze noch ab.«
    »Und wie erfahren wir, daß sie es abgeblasen haben?«
    Darauf hatte ich keine Antwort parat, und obwohl sie den Kopf auf meine Schulter gelegt hatte, war unser Schweigen nicht sehr behaglich.
    »In vier Wochen hat Noah Geburtstag«, sagte sie unvermittelt.
    »Ich weiß. Wir wollen ihm doch zusammen ein

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