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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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hören. Denken wir es doch rasch einmal durch. Die Geldverleiher haben sich im Hause Gottes breitgemacht. Gibt es etwas Schlimmeres? Kein Wunder, daß wir entrüstet sind. Wer wäre das nicht? Also bitte: reichlich Entrüstung. Und sehr sachte mit den S, vor allem die Tenöre. Nun denn, noch einmal von vorn, wenn ich bitten darf.«
    Und ob er durfte. Mr. Anderson warf sich mit dem Ausdruck sch önster Entrüstung in die Brust, machte den Mund auf und sah mich – aber so direkt und ausschließlich, daß man hätte meinen können, ich sei der einzige Mensch im Saal, und auf der Empore gleich gar. Und dann klappte er den Mund wieder zu. Alles um ihn herum sang, und der Mann auf dem Podest fuchtelte so selbstvergessen mit seinen dünnen Ärmchen, daß er gar nicht mitbekam, daß Mr. Anderson,
    der aus der Reihe ausgeschert war, pl ötzlich neben ihm stand, puterrot vor Verlegenheit. Dem Chor aber war es nicht entgangen, und allmählich erstarb der Gesang. Was sich zwischen Mr. Anderson und seinem Chorleiter abspielte, werde ich nie erfahren, denn ich war längst die Treppe wieder hinuntergegangen und hatte mich vor den Türen zum großen Saal postiert. Zu mir gesellten sich eine ältliche Frau im Kaftan und eine stämmige Jugendliche, die, wenn man sich das grüne Haar und die Augenbrauenpiercings wegdachte, ihrem ehrwürdigen Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Sekunden später schob sich die massige Gestalt von Mr. Anderson selbst durch die Tür. Er sah an mir vorbei, als ob ich nicht existierte, und wandte sich im Befehlston an seine Damen.
    »Mary, ich muß euch bitten, nach Hause zu fahren und dort auf mich zu warten. Ginette, mach nicht so ein Gesicht. Nehmt bitte den Wagen, Mary. Wenn nötig, werde ich schon ein anderes Transportmittel finden.«
    Die halbw üchsige Ginette, deren schwarzumrandete Augen mich beschworen, die Schmach zu bezeugen, die man ihr antat, ließ sich von ihrer Mutter hinausführen. Erst jetzt geruhte Mr. Anderson, mich zur Kenntnis zu nehmen.
    »Salvo. Sie sind in meine Chorprobe geplatzt.«
    Ich hatte meine Rede parat. Darin wollte ich meine Wertsch ätzung für ihn und meinen Respekt für seine hehren Prinzipien zum Ausdruck bringen und ihn daran erinnern, wie oft er mir gesagt hatte, ich solle meine Sorgen nicht in mich hineinfressen, sondern gleich damit zu ihm kommen. Doch f ür diese Rede war der Zeitpunkt nicht der richtige.
    »Es geht um den Coup, Sir. Mein Auftrag übers Wochenende. Er ist überhaupt nicht im nationalen Interesse. Es ist ein Komplott gegen den Kongo.«
    An den W änden des grüngekachelten Korridors hingen Bilder von Schülern. Die ersten beiden Türen waren abgeschlossen. Die dritte ging auf. Am anderen Ende des Klassenzimmers standen sich zwei Tische gegenüber und hinter ihnen an der Tafel mein schlechtestes Fach: Algebra.
    * * *
    Mr. Anderson hat sich angeh ört, was ich zu sagen hatte.
    Ich habe mich kurz gefa ßt, so wie er, der Vielredner, es bei anderen schätzt. Die Ellenbogen auf dem Tisch, das formidable Kinn auf die gefalteten Hände gestützt, hat er mich nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen, auch nicht, als ich mich an das heikle moralische Labyrinth herantastete, das seine ureigene Domäne ist: individuelles Gewissen contra höheres Ziel. Mein J’accuse! liegt vor ihm. Er setzt die Lesebrille auf und greift in seine Jacke, nach dem silbernen Drehbleistift.
    »Und der Titel ist von Ihnen, Salvo? Sie klagen mich an.«
    »Nicht Sie, Mr. Anderson. Die anderen. Lord Brinkley, Philip, Tabizi, das Syndikat. Die Leute, die den Mwangaza benutzen, um sich persönlich zu bereichern, und die zu diesem Zwecke sogar einen Krieg in Kivu anzetteln.«
    »Und das steht alles hier drin? Schwarz auf Weiß. Von Ihnen aufgeschrieben.«
    »Nur zu Ihrer persönlichen Verwendung, Sir. Es gibt keine Kopie.«
    Die Spitze des silbernen Bleistifts begann seine bed ächtige Wanderung über das Papier.
    »Sie haben Haj gefoltert«, fügte ich hinzu. Das mußte ich unbedingt sofort loswerden. »Mit einem Elektroschocker. Den Spider gebaut hat.«
    Ohne sich beim Lesen st ören zu lassen, sah Mr. Anderson sich gezwungen, mich zu korrigieren. »Folter ist ein sehr emotionsgeladener Begriff, Salvo. Ich würde zurückhaltend damit umgehen. Mit dem Begriff, meine ich.«
    Danach z ügelte ich meine Ungeduld, während er las und die Stirn runzelte, sich hier eine Anmerkung an den Rand kritzelte, dort tadelnd mit der Zunge schnalzte, wenn ihm etwas an meinem Stil nicht gefiel.

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