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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Einmal blätterte er ein paar Seiten zurück, um eine Textstelle mit einem vorangegangenen Absatz zu vergleichen, und schüttelte den Kopf. Und als er die letzte Seite gelesen hatte, fing er wieder von vorn an, beim Titel. Er befeuchtete seinen Daumen und studierte noch einmal den Schluß, wie um sich zu überzeugen, daß er auch nichts übersehen oder unberücksichtigt gelassen hatte, bevor er zur Notengebung schritt.
    »Und was haben Sie mit diesem Schriftstück vor, wenn ich fragen darf, Salvo?«
    »Nichts, Sir. Es ist für Sie, Mr. Anderson.«
    »Und was soll ich damit machen?«
    »Ganz nach oben gehen, Sir. Zum Außenminister oder in die Downing Street, wenn es sein mu ß. Man kennt Sie als einen Mann von Gewissen. Ethische Grenzfälle sind Ihr Spezialfach, wie Sie mir einmal gesagt haben.« Und als er nicht antwortete: »Es geht allein darum, die Operation zu stoppen. Wir verlangen nicht, daß irgendwelche Köpfe rollen. Wir stellen niemanden bloß. Aber die Operation muß gestoppt werden!«
    »Wir?« wiederholte er. »Wer ist denn auf einmal wir?«
    »Sie und ich, Sir«, antwortete ich, auch wenn ich ein anderes Wir im Sinn gehabt hatte. »Und diejenigen von uns, die nicht wußten, daß dieses ganze Projekt durch und durch verwerflich ist. Wir werden Menschen retten, Mr. Anderson. Hunderte, vielleicht Tausende. Auch Kinder.« Und diesmal dachte ich an Noah.
    Mr. Anderson legte die H ände flach auf J’accuse!, als ob ich es ihm jeden Augenblick, wegreißen würde. Nichts hätte mir ferner gelegen. Er atmete tief durch, und in meinen Ohren klang es ein wenig zu sehr nach einem Seufzer.
    »Sie waren sehr fleißig, Salvo. Sehr gewissenhaft, wenn ich das sagen darf, aber etwas anderes hätte ich von Ihnen auch gar nicht erwartet.«
    »Das war ich Ihnen schuldig, Mr. Anderson.«
    »Daß Sie ein ausgezeichnetes Gedächtnis haben, ist jedem klar, der Ihre Arbeit kennt.«
    »Danke, Mr. Anderson.«
    »Sie zitieren hier längere Passagen wortwörtlich. Ebenfalls aus dem Gedächtnis?«
    »Nicht ganz, nein.«
    »Hätten Sie dann vielleicht die Güte, mir zu verra ten, auf welche anderen Quellen Sie diese – Anklage stützen?«
    »Das Rohmaterial, Mr. Anderson.«
    »Und wie roh wäre das?«
    »Die Bänder. Nicht alle. Nur die wichtigsten.«
    »Und was genau ist auf den Bändern?«
    »Die Verschwörung. Der Volksanteil. Wie Haj gefoltert wird. Wie Haj Kinshasa anklagt. Wie Haj sich kaufen läßt. Wie Philip über Satellit nach London telefoniert.«
    »Um wie viele Bänder geht es hier, Salvo? Bitte die Gesamtzahl.«
    »Nun ja, sie sind nicht alle voll. Spider hält sich an die Chatroom-Regeln. Also ein Band pro Aufzeichnung.«
    »Bitte, Salvo. Wie viele?«
    »Sieben.«
    »Gibt es auch schriftliches Beweismaterial?«
    »Nur meine Stenoblöcke.«
    »Und wie viele von Ihren Stenoblöcken wären das?«
    »Vier. Drei volle, ein halbvoller. In meiner babylonischen Keilschrift«, fügte ich hinzu, unser alter Witz.
    »Und wo mögen sie wohl sein, Salvo? Das frage ich Sie. Wo sind sie in diesem Augenblick? Jetzt?«
    »Die Söldner? Maxies Privatarmee?« Ich tat so, als ob ich ihn nicht verstand. »Hocken noch irgendwo herum, würde ich meinen. Ölen ihre Waffen, oder was sie eben sonst so machen. Der Angriff soll ja erst in zehn Tagen stattfinden, da müssen sie noch eine Weile Däumchen drehen.«
    Aber so leicht lie ß er sich denn doch nicht ablenken.
    »Ich denke, Sie wissen, was ich meine, Salvo. Die Bänder, Stenoblöcke und das sonstige Material, das Sie sich widerrechtlich angeeignet haben. Was haben Sie damit gemacht?«
    »Versteckt.«
    »Wo?«
    »An einem sicheren Ort.«
    »Ich bitte Sie, Salvo. Was für eine kindische Antwort. Wo befindet sich der sichere Ort, an dem sie versteckt sind?«
    Mein Mund blieb zu, nicht st örrisch zusammengekniffen, aber zu, auch wenn es mich in den Lippen kribbelte, als ob sie unter Strom stünden.
    »Salvo.«
    »Ja, Mr. Anderson.«
    »Sie wurden auf meine persönliche Empfehlung für diese Mission ausgewählt. Es gibt mehr als einen, der Sie nicht genommen hätte. Der der Meinung war, Ihr Temperament und Ihre unorthodoxe Herkunft würden Sie für eine solche Aufgabe disqualifizieren. Ich war nicht dieser Meinung.«
    »Das weiß ich, Mr. Anderson. Und ich bin Ihnen dankbar. Deshalb komme ich ja auch zu Ihnen.«
    »Also, wo sind sie?« Er wartete einen Augenblick und fuhr dann fort, als ob er die Frage nie gestellt hätte. »Ich habe Sie beschützt, Salvo.«
    »Ich weiß, Mr.

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