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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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dermaßen die Hosen voll hatten.«
    Toll. Kinder lieben es, wenn man ihnen angst macht, sagte ich.
    »Und das Café auf der Herfahrt, Salvo – wo wir Rast gemacht haben, weil sie uns in dem anderen nicht haben wollten, weil wir Neger sind? Die waren so was von nett. Wir können also echt nicht meckern.«
    Wo ist sie, Grace?
    »Hannah?« – als ob sie sich gerade erst an sie erinnert hätte. »Ach, Hannah, die ist mit den Großen ins Kino gegangen, Salvo. Wenn du anrufst, soll ich dir ausrichten, daß sie dich so bald wie möglich zurückruft. Vielleicht morgen früh – heute wird’s sicher zu spät. Hannah und ich, wir sind nämlich bei verschiedenen Familien untergebracht. Und mein Handy brauch ich hier, wegen Latzi.«
    Aha.
    »Wenn Latzi mich nicht erreicht, springt er im Dreieck. Und wo Hannah wohnt, da gibt es zwar ein Telefon, aber es ist besser, wenn du sie nicht anrufst. Es steht nämlich im Wohnzimmer, wo die ganze Familie vor dem Fernseher hockt. Sie meldet sich, sobald sie kann. Wolltest du irgendwas Bestimmtes, Salvo?«
    Ihr sagen, da ß ich sie liebe.
    »Hm, kann es sein, daß sie das schon mal gehört hat, Salvo, oder ist das ganz was Neues?«
    Ich h ätte sie fragen sollen, in welchen Film Hannah mit den Großen gegangen war, dachte ich, nachdem ich aufgelegt hatte.
    * * *
    Ich hatte nicht gewu ßt, wie rasch mir unser kleines Hinterzimmer zum Zuhause geworden war. In wenigen Tagen hatte es all meine Jahre in den Norfolk Mansions verdrängt. Als ich hereinkam, duftete es nach Hannah, als ob sie noch da wäre, nicht nach einem Parfüm, nur nach ihr. In kameradschaftlicher Verbundenheit begrüßte ich das zerwühlte Bett, unsere ramponierte Triumphstätte. Nichts von dem, was sie zurückgelassen hatte, entging meinem schuldbeladenen Blick: ihr Afrokamm, die Armbänder, die sie in den letzten Minuten ihres verspäteten Aufbruchs gegen einen Reif aus Elefantenhaar ausgetauscht hatte, unsere halbleeren Teetassen, das Photo von Noah auf dem wackeligen Nachttisch, das mir während ihrer Abwesenheit Gesellschaft leisten sollte, und das Regenbogenhandy für ihre Liebesbotschaften, auf dem sie mir mitteilen wollte, wann ich sie schätzungsweise zurückerwarten konnte. Warum ich es nicht mitgenommen hatte? Weil ich nichts bei mir haben wollte, womit ich sie im Falle meiner Festnahme belasten würde. Wie lange noch, bis ich es ihr zurückgeben konnte? Eigentlich sollten die Eltern ihre Sprößlinge um ein Uhr mittags an der Kirche in Empfang nehmen, aber Hannah hatte mich gewarnt: Ein einziges ungezogenes Kind wie Amelia, das sich versteckt hatte, ein Bombenalarm oder eine Straßensperre, und schon würde aus Mittag Abend werden.
    Ich h örte mir die Zehn-Uhr-Nachrichten an und überprüfte im Internet die Steckbriefe der meistgesuchten Verbrecher, immer darauf gefaßt, auf mein Photo nebst einer politisch korrekten Beschreibung meiner ethnischen Zugeh örigkeit zu stoßen. Ich wollte mich gerade ausloggen, als Hannahs Handy sein Vogellied trällerte. Grace habe ihr meine Nachricht ausgerichtet, sagte sie. Sie sei in einer Telefonzelle und habe nicht genug Kleingeld dabei. Ich rief sie sofort zurück.
    »Vor wem bist du denn davongerannt?« fragte ich, um einen scherzhaften Ton bemüht.
    Sie war überrascht: Wie ich auf die Idee käme, daß sie gerannt sei?
    »Weil du dich so anhörst«, sagte ich. »Ganz außer Atem.«
    Das Gespr äch ließ sich gar nicht gut an. Am liebsten hätte ich es abgebrochen und noch einmal von vorne angefangen, wenn ich wieder klarer denken konnte. Wie sollte ich ihr sagen, daß mich Mr. Anderson genauso enttäuscht hatte wie Lord Brinkley, nur auf eine scheinheiligere Art? Daß er ein zweiter Brinkley war, genau wie sie es vorhergesagt hatte?
    »Wie geht’s deinen Kids?« fragte ich.
    »Gut.«
    »Grace sagt, sie haben jede Menge Spaß.«
    »Stimmt. Sie sind überglücklich.«
    »Du auch?«
    »Ich bin glücklich, weil ich dich habe, Salvo.« Warum so feierlich? So endgültig?
    »Und ich bin auch glücklich. Daß ich dich habe. Du bedeutest mir alles. Hannah, was ist los? Bist du nicht allein in der Telefonzelle? Du klingst so … unwirklich.«
    »Ach, Salvo!«
    Und dann beteuerte sie mir pl ötzlich, fast wie auf Knopfdruck, ihre leidenschaftliche Liebe, versicherte mir, nie geahnt zu haben, da ß es ein solches Glück überhaupt geben könne, und schwor, mir niemals im Leben schaden zu wollen, auch nicht durch die kleinste Kleinigkeit, auch nicht durch etwas, das sie nur gut

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