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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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– noch ein Schritt – »jeglichen Anspruch auf internationale Achtung verwirkt « – er hatte mir den Fluchtweg fast abgeschnitten – »genauso, wie ein schurkenhaftes Element in unserer eigenen Gesellschaft – ein Schurke wie Sie, Salvo – das Recht verwirkt hat, zum Nachteil seiner Wahlheimat seiner Naivität zu frönen. Bitte bleiben Sie, wo Sie sind, es besteht keine Veranlassung näherzukommen. Was ich Ihnen zu sagen habe, können Sie auch dort hören, wo Sie stehen. Ich frage Sie ein allerletztes Mal: Wo befindet sich das unterschlagene Material? Alles weitere wird zu seiner Zeit geklärt werden. In zwanzig Sekunden werde ich den Anruf tätigen. Im gleichen Moment oder kurz vorher werde ich eine Jedermann-Festnahme vornehmen. Ich werde Ihnen die Hand auf die Schulter legen, wie es das Gesetz verlangt, und sagen: ›Bruno Salvador, hiermit nehme ich Sie fest, im Namen des Gesetzes.‹ Salvo. Ich möchte Sie daran erinnern, daß ich ein kranker Mann bin. Ich bin achtundfünfzig Jahre alt und leide an Altersdiabetes.«
    Ich hatte ihm das Telefon aus der Hand genommen. Er lie ß es geschehen. Wir standen voreinander, Auge in Auge, ich einen halben Kopf größer als er, was ihn sichtlich mehr überraschte als mich. Hinter der geschlossenen Tür rang der Chor von Sevenoaks ohne die Hilfe seines stimmmächtigsten Baritons um die angemessene Entrüstung.
    »Salvo. Ich stelle Sie vor eine faire Wahl. Wenn Sie mir hier und jetzt Ihr Ehrenwort geben, daß Sie und ich das Material morgen früh – als allererstes – zusammen aus seinem Versteck holen, lade ich Sie ein, als mein Gast bei mir in Sevenoaks zu übernachten, mit mir und meiner Familie gem ütlich zu Abend zu essen, schlichte Hausmannskost, nichts Exotisches, das Zimmer meiner ältesten Tochter ist frei, sie wohnt momentan nicht bei uns. Und um mich für die Rückgabe des Materials zu revanchieren, werde ich es mir zur Aufgabe machen, mit bestimmten Leuten zu reden und ihnen zu versichern – Vorsicht, Salvo, nicht doch …«
    Die Hand, mit der er mich hatte festnehmen wollen, war abwehrend erhoben. Ich griff langsam nach der Klinke, um ihn nicht zu erschrecken. Ich entfernte den Akku aus seinem Handy und steckte ihm den Apparat in die Jackentasche. Zuletzt zog ich die T ür hinter mir zu, weil ich nicht wollte, daß andere Menschen meinen letzten Mentor in seiner bedauernswerten Verfassung sahen.
    * * *
    Wo ich mich in den n ächsten Stunden aufhielt, was ich tat, daran habe ich nur vage Erinnerungen, und schon damals nahm ich es nur verschwommen wahr. Ich weiß, daß ich die Schuleinfahrt hinunterging, erst langsam, dann schneller, daß ich an einer Haltestelle stand und, als nicht gleich ein Bus kam, auf die andere Straßenseite hinüberwechselte und in den Bus in die entgegengesetzte Richtung stieg, was man nicht gerade als unverdächtiges Verhalten bezeichnen kann; daß ich mich danach hakenschlagend und im Zickzackkurs querfeldein bewegte, nicht nur, um echte oder eingebildete Verfolger abzuschütteln, sondern vor allem auch den Anblick Mr. Andersons; und da ß ich in Bromley einen späten Zug zur Victoria Station nahm, von da mit dem Taxi bis zum Marble Arch fuhr und mit einem zweiten zu Mr. Hakims Pension, alles bezahlt mit Maxies großzügiger Prämie. Und daß ich am Bahnhof Bromley South, wo ich zwanzig Minuten auf den Zug warten mußte, aus einer Telefonzelle Grace anrief.
    »Willst du mal was total Verrücktes hören, Salvo?«
    H öflich, wie ich bin, wollte ich.
    »Ich bin heute von einem Esel geplumpst! Voll auf den Hintern, vor den ganzen kreischenden Kids! Amelia ist oben geblieben, ich bin runtergefallen. Und der Esel, Salvo, der hat Amelia bis zur Eisbude am Strand auf sich reiten lassen, und Amelia hat dem Esel mit ihrem Taschengeld ein Eis gekauft, und der Esel hat das Eis ganz aufgefressen, und dann hat er Amelia wieder bis zu uns zurückgeschleppt! Kein Scheiß, Salvo! Was meinst du, was ich für blaue Flecken am Allerwertesten habe? Du würdest es nicht glauben, auf beiden Backen! Latzi lacht sich bestimmt tot, wenn er das sieht!«
    Latzi, ihr polnischer Freund aus der Musikbranche, fiel es mir fl üchtig wieder ein. Latzi, der Hannah einen guten Preis machen würde.
    »Soll ich dir noch was erzählen, Salvo?«
    Wann d ämmerte mir, daß sie mich hinhielt?
    »Wir waren im Kasperltheater, okay?«
    Okay, antwortete ich.
    »Und unsere Kids, die waren hin und weg. Ich hab noch nie so viele glückliche Kinder gesehen, die vor Angst

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