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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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durch und durch loyal? Aber ich riß mich zusammen. Ich verbannte das Glühen aus meinem Auge.
    »Und nicht vergessen, Jack, seine Versicherung wird von euch übernommen, nicht von uns. Sämtliche Risiken, wenn ich bitten darf, inklusive Krankheitsfall im Feld und Rückführung ins Vaterland auf schnellstmöglichem Wege. Keine Spur führt zu uns zurück. Wir sind da, wenn ihr uns braucht, Jack. Aber denken Sie dran, jeder Anruf hier heißt, daß die Sache sich länger hinzieht. Ah, ich glaube, da kommt er die Treppe herauf. Also dann, Salvo.« Er hatte aufgelegt. »Nun hören Sie mir gut zu, mein Junge. Uns bleibt sehr wenig Zeit für sehr viel Erwachsenwerden. Unsere reizende Bridget hier wird Sie einkleiden. Hübscher Smoking, den Sie da tragen, zu schade, daß Sie ihn ausziehen müssen. Auf dem Smokinggebiet hat sich doch einiges getan, muß man sagen, seit ich ein junger Mann war. Beim Jahresball des Gesangvereins hatten wir die Wahl zwischen Schwarz und Schwarz. Dunkelrot wie Sie trugen nur die Kapellmeister. Sie haben Ihrer Frau alles brühwarm erzählt, nehme ich an? Ein hochgeheimer Auftrag von nationaler Wichtigkeit, der sich über Nacht ergeben hat, stimmt’s?«
    »Nicht ein Wort, Sir«, erwiderte ich fest. »Sie wollten, daß ich nichts sage, also habe ich nichts gesagt. Ich habe ihn mir extra für ihren großen Abend gekauft«, fügte ich hinzu, denn Hannah hin oder her war es mir doch ein Bedürfnis, mir seinen Glauben an meine eheliche Treue zu bewahren, bis die Zeit reif war, ihn von meinen veränderten Lebensumständen in Kenntnis zu setzen.
    Die Frau, die er unsere reizende Bridget nannte, hatte sich vor mir aufgebaut und musterte mich, eine lackierte Fingerspitze an die Lippen gedr ückt. Sie trug Perlohrringe und Designerjeans, die ein paar Preisklassen über ihrer Gehaltsstufe angesiedelt sein mußten, und ließ die Hüften im Rhythmus ihrer stummen Erwägungen kreisen.
    »Welche Bundweite haben Sie, Salv? Wir haben Sie auf zweiunddreißig geschätzt.«
    »Eher dreißig.« Hannah hatte mich zu dünn gefunden.
    »Und Ihre Schrittlänge, falls Sie die auch wissen?«
    »Zweiunddreißig, als ich das letzte Mal hingeguckt habe«, gab ich zurück, im gleichen frotzelnden Ton wie sie.
    »Kragen?«
    »Neununddreißig.«
    Sie verschwand einen Gang hinunter, und ich stand da, verwirrt von einem j äh aufzüngelnden Verlangen nach ihr, bis mir klar wurde, daß es nur der Nachklang meines Verlangens nach Hannah war.
    »Auf Sie wartet ein kleiner Fronteinsatz, mein Junge«, verkündete Mr. Anderson in gewichtigem Ton, wobei er das Handy zurück in die äußere Brusttasche steckte. »Kein gemütliches Rumsitzen mehr in einer bequemen Kabine, während Sie aus sicherer Entfernung in die Welt hinauslauschen. Jetzt sollen Sie ein paar von den Schurken in natura treffen und ganz nebenbei Ihrem Vaterland einen Gefallen tun. Sie haben doch nichts gegen einen kleinen Identitätswechsel, hoffe ich? Jeder Mensch möchte an irgendeinem Punkt seines Lebens einmal jemand anderes sein, habe ich mir sagen lassen.«
    »Nicht das geringste, Mr. Anderson. Nicht, wenn Sie sagen, da ß es notwendig ist. Jederzeit.« Ich war schon einmal in den letzten vierundzwanzig Stunden ein anderer geworden, da würde ein zweites Mal kaum groß ins Gewicht fallen. »Und vor wem retten wir die Welt diesmal?« erkundigte ich mich betont salopp, um meine Aufgeregtheit zu kaschieren. Aber zu meiner Überraschung nahm Mr. Anderson meine Frage ernst und brütete ein Weilchen darüber nach, bevor er mit einer Gegenfrage antwortete.
    »Salvo.«
    »Mr. Anderson?«
    »Hätten Sie große Skrupel, sich für eine gute Sache die Finger schmutzig zu machen?«
    »Ich dachte, das tue ich längst – gewissermaßen, meine ich natürlich nur«, verbesserte ich mich hastig.
    Zu sp ät. Mr. Andersons Stirn hatte sich umwölkt. Er hielt sich viel zugute auf die moralische Integrität des Chatroom und sah sie höchst ungern in Zweifel gezogen, schon gar von mir.
    »Bis jetzt, Salvo, haben Sie einen zwar wesentlichen, aber defensiven Beitrag zum Wohle unserer bedrängten Nation geleistet. Vom heutigen Abend an werden Sie den Kampf hinter die Linien des Feindes tragen. Sie werden aufhören, defensiv zu sein, und statt dessen« – er suchte nach dem treffenden Ausdruck – »proaktiv werden. Spüre ich da ein Zögern Ihrerseits, diesen Schritt zu tun?«
    »Keineswegs, Mr. Anderson. Nicht, wenn es für einen guten Zweck ist, wie Sie es ja bereits gesagt haben. Solange

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