Geheime Melodie
mir das Handy wieder ab, reichte mir eine Reisetasche und blieb neben mir stehen, w ährend ich den Inhalt inspizierte: Socken, Taschent ücher, Hemden, Unterhosen, ein Waschbeutel und ein dicker grauer Pullover mit V-Ausschnitt.
»Irgendwelche Medikamente, von denen wir wissen sollten?« fragte sie. »Keine Kontaktlinsen? Keine Gleitmittel, keine Döschen mit irgendwas?«
Ich sch üttelte den Kopf.
»Na, dann ab mit euch beiden«, erklärte Mr. Anderson, und wenn er die rechte Hand erhoben und eines von Pater Michaels schlackrigen Kreuzen über uns geschlagen hätte, wäre ich auch nicht weiter verwundert gewesen.
4
Von meiner heutigen Warte aus ist es mir schlicht ein R ätsel, daß ich mich an diesem Abend, als ich Bridget die Treppe hinunter und hinaus auf die South Audley Street folgte, gewandet wie ein Oberlehrer aus der Provinz und mit nichts an der Hand als ein paar gefälschten Visitenkarten und der Aussicht auf ungeahnte Gefahren, für den größten Glückspilz von London, wenn nicht von ganz England hielt, für den unerschrockensten Patrioten und geheimsten Geheimagenten, doch genau so war es.
Fram hie ß das Schiff des berühmten Polarforschers Nansen, eines der Helden aus Pater Michaels Pantheon großer Männer. Fram, das ist norwegisch für vorwärts, Fram, so hätte das Motto meines seligen Vaters lauten können, als er auf seinem Ketzerfahrrad über die Pyrenäen gestrampelt war – und Fram lautete nolens volens auch mein Motto, seit ich von dem »Ruf aus der Höhe« ereilt worden war, wie Pater Michael es in anderem Zusammenhang genannt hatte. Vo r w ä r t s , während ich mich für die mir bevorstehende Entscheidung wappnete, vorwärts in den lautlosen Krieg, den mein Land gegen die Schurken in natura führte, vorwärts und fort von Penelope, die mir lange schon fremd geworden war, vorwärts auf den schimmernd hellen Pfad zurück zu einem Leben mit Hannah. Und vorwärts nicht zuletzt zu Maxie, meinem geheimnisvollen neu en Herrn, und zu Philip, dem noch geheimnisvolleren Berater.
Angesichts der extremen Eile und Brisanz unserer Operation h ätte ich angenommen, daß Fred, unser weißer Fahrer ; schon mit heißlaufendem Motor vor der Tür warten würde, doch Bridget versicherte mir, bei den derzeitigen Verkehrsstaus plus der Polizeiabsperrung am Marble Arch kämen wir zu Fuß schneller ans Ziel.
»Das macht Ihnen doch nichts aus, Salv?« fragte sie und hakte sich bei mir unter, entweder aus Angst, ich könnte ihr weglaufen – nichts lag mir ferner –, oder weil sie zu dem Typ Mensch gehörte, der einem immerfort die Wange tätschelt oder den Rücken rubbelt, bis man – beziehungsweise ich – gar nicht mehr weiß, ob man es nun mit tätiger Nächstenliebe zu tun hat oder mit einer Einladung ins Bett.
»Um Gottes willen, nein!« beteuerte ich. »Doch nicht an so einem herrlichen Abend! Aber könnte ich mir vielleicht kurz Ihr Handy ausborgen? Nicht daß Penelope meine Nachricht übersieht …«
»Geht nicht, leider. Das ist gegen die Vorschriften.«
Hatte ich eine Ahnung, wohin wir gingen? Erkundigte ich mich danach? Nein. Das Leben eines Geheimagenten ist eine einzige Reise ins Ungewisse, das Leben eines heimlichen Liebhabers desgleichen. Bridget bestimmte das Tempo, ich trottete in meinen Secondhand-Schuhen, die mir die Kn öchel wundrieben, brav nebenher. Im Schein der Abendsonne hob sich meine Stimmung immer mehr, wozu unbewußt auch Bridget beitragen mochte, die sich meinen rechten Arm unter ihre – dem Gefühl nach halterlose – linke Brust geschmiegt hatte. Von dem Licht, das Hannah in mein Leben gebracht hatte, bekamen offenbar auch andere Frauen ein paar Strahlen ab.
»Sie lieben sie echt, hm?« sinnierte sie, während sie mich durch eine Gruppe von Nachtschwärmern steuerte. »Die meisten Ehepaare, die ich kenne, liegen sich andauernd in den Haaren. Grauenhaft. Aber bei Penelope und Ihnen ist das ja scheint’s anders? Das muß wunderbar sein.«
Ihr Ohr war nur eine gute Handbreit von meinen Lippen entfernt, und sie duftete nach Je Reviens, seines Zeichens die Lieblingswaffe von Penelopes j üngerer Schwester Gail. Gail, Augenstern ihres Vaters, hatte einen Parkhausbesitzer aus niederem Adel geehelicht. Aus Rache an der Schwester und den Eltern hatte Penelope mich geheiratet. Dennoch, um zu erklären, was ich als nächstes tat, brauchte es ein ganzes Jesuitentribunal.
Denn warum sollte ein frischgebackener Ehebrecher, nur wenige Stunden nachdem er sich erstmals in seiner
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