Geheime Melodie
anderes verwandelten.
Bewacht wurde die T ür von einem grauhaarigen Gorilla, den ich als Araber einstufte, mit Sicherheit älter als die beiden blonden Bürschchen zusammengenommen und mit seiner platten Nase, den hängenden Schultern und den schützend vors Gemächt gehaltenen Händen unschwer als Mitglied der Faustkämpferkaste zu erkennen. An unseren Weg die majestätische Treppe hinauf erinnere ich mich nicht. Wenn Bridget in ihrer hautengen Jeans vor mir hergegangen wäre, wüßte ich es noch, also blieb sie vermutlich neben mir. Und Bridget war nicht zum erstenmal hier. Sie kannte sich aus, sie kannte die Knaben, und den arabischen Rausschmeißer kannte sie offenbar auch, denn sie lächelte ihm zu, und er lächelte sanft und bewundernd zurück, bevor er wieder seinen stieren Boxerblick aufsetzte. Sie wußte von selbst, wo wir zu warten hatten:
auf halber H öhe der Treppe, bevor sie sich teilte, was man von unten niemals hätte erraten können.
Es gab zwei Sessel hier oben, ein Ledersofa ohne Armlehnen, dazu Hochglanzmagazine mit Angeboten f ür Privatinseln in der Karibik und Charteryachten inklusive Crew und Hubschrauber, Preis auf Anfrage. Bridget nahm sich eine Zeitschrift, blätterte darin und bot mir ebenfalls eine an. Doch während ich darüber phantasierte, mit was für einer Fram Hannah und ich davonsegeln würden, stellte sich mein inneres Ohr automatisch auf die dröhnenden Stimmen ein, die aus dem Konferenzsaal drangen, denn Zuhören ist das, wofür ich geschaffen und worin ich geübt bin, nicht nur dank des Trainings im Chatroom. Egal, wie es in mir aussieht, ich höre zu und ich passe auf, das ist mein Beruf. Nicht zu vergessen die Tatsache, daß ein Kind, das es nicht gibt, in einem abgelegenen Missionshaus beizeiten lernt, die Ohren zu spitzen, wenn es wissen will, was ihm als nächstes blüht.
Und w ährend ich lauschte, nahm ich in den Räumen über uns nach und nach das an- und abschwellende Jaulen von Faxgeräten wahr, die auf Hochtouren liefen, das Schrillen allzu schnell abgewürgter Telefone und dazwischen immer wieder die gespannte Stille, wenn nichts geschah und das ganze Haus den Atem anhielt. Alle paar Minuten huschte eine junge Assistentin an uns vorbei die Treppe hinunter und drückte dem Gorilla einen Zettel in die Hand, worauf dieser die Tür einen Spalt öffnete, die Nachricht nach innen weitergab, die Tür schloß und die Hände wieder vor dem Gemächt verschränkte.
Die Stimmen aus dem Konferenzraum dr öhnten unvermindert weiter. Sie gehörten Männern, wichtigen Männern, denn dies war offenbar eine Versammlung, in der jeder einzelne etwas zu sagen hatte, nicht eine Gruppe von Handlangern, die einem Wortführer lauschten. Und was sie sagten, klang zwar englisch, aber aus den Stimmen waren die unterschiedlichsten nationalen Färbungen und Sprachmelodien herauszuhören, bald indischer Subkontinent, bald Euroamerikanisch oder weißes Afrokolonialisch, so wie ich es auch von meinen hochkarätigeren Konferenzen her kannte, wo die Vortragssprache Englisch ist, die Gespräche hinter den Kulissen jedoch in den Muttersprachen der jeweiligen Delegierten geführt werden, mit den Dolmetschern als der Brücke zwischen den ringend sich bemühenden Geschöpfen Gottes.
Bei einer Stimme freilich hatte ich das Gef ühl, daß sie zu mir persönlich sprach. Lupenreines Englisch, Oberschicht, mit einer Satzmelodie, der ich mich nur schwer entziehen konnte. Die einzelnen Worte verstand ich nicht, aber so fein waren meine Antennen eingestellt, so präzise arbeitete mein »drittes Ohr«, wie ich es nenne, daß ich schon nach wenigen Minuten überzeugt war, daß es sich bei dem Sprecher um einen Gentleman handelte, den ich kannte und schätzte. Während ich mir noch den Kopf zerbrach, wer der Mann war, riß mich ein Donnerschlag aus meinen Gedanken. Die Eingangstür flog auf, und herein kam kein anderer als der ausgemergelte, atemlose Mr. Julius Bogarde alias Bogey, mein ehemaliger Mathematiklehrer und Galionsfigur der unseligen Herz-Jesu-Wandertage.
Meine Verbl üffung über seine Reinkarnation fiel um so größer aus, als Bogey vor zehn Jahren, während er in den Cairngorms einen Trupp verängstigter Schulkinder auf der falschen Seite einen Berg hinaufgeführt hatte, ums Leben gekommen war.
»Maxie« , hauchte Bridget vorwurfsvoll und bewundernd zugleich und sprang auf. »Sie verrückter Hund. Wer ist die Glückliche diesmal?«
Na gut, er war nicht Bogey.
Und ich m öchte bezweifeln,
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