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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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fester.
    Ob ich Bridget den Rest auch erz ählte? Sie in Ermangelung Hannahs zu meiner Ersatzbeichtmutter machte? Ihr anvertraute, daß ich, als ich Penelope kennenlernte, mit meinen dreiundzwanzig Jahren noch Jungfrau war, nach außen hin der schmucke Dandy, aber hinter der sorgsam konstruierten Fassade mit einem ganzen Komplex von Komplexen behaftet? Daß mich die Zuwendung von Pater Michael und zuvor schon von Père André in ein sexuelles Zwielicht gerückt hatte, aus dem ich mich nicht mehr hervorwagte? Daß sich die Schuldgefühle meines seligen Vaters hinsichtlich seiner späten Sinnenfreuden vollständig und ohne Abstriche auf den Sohn übertragen hatten?
    Wie sehr mir, als wir im Taxi zu Penelopes Wohnung fuhren, in meiner Scheu vor dem Moment graute, da sie meine Unzul änglichkeit ans Licht bringen würde? Und wie dann dank ihres Könnens und Mikromanagements alles doch ein gutes Ende nahm, ein extrem gutes sogar, ein besseres, als sie es sich je hätte vorstellen können, wie sie mir hinterher versicherte: mir,  Salvo, ihrem Traumhengst – ihrem besten Pferd im Stall, wie sie hätte hinzufügen können –, ihrem Alphamann plus? (Oder, wie sie es später ihrer Freundin Paula erzählte, als sie sich unbelauscht glaubten, ihrem Schokosoldaten, der immer so brav vor ihr strammstand?) Und wie ihr Salvo – so überwältigt von Dankbarkeit und seinen neuentdeckten Talenten als unersättlicher Matratzenakrobat, daß er sexuelle Höchstleistungen mit der großen Liebe verwechselte – in seiner üblichen Impulsivität und Naivität nur eine Kalenderwoche später einen Heiratsantrag machte, der auf der Stelle angenommen wurde? Nein. Gnädigerweise gelang es mir, mich wenigstens in diesem Punkt zurückzuhalten. Und ich behielt auch für mich, welchen Preis ich seitdem jahrein, jahraus für diese dringend benötigte Therapie bezahlte – aber nur deshalb, weil wir inzwischen das Connaught Hotel passiert hatten und in den oberen Teil des Berkeley Square einbogen.
    * * *
    W ährend ich, mitgerissen von meinen Gefühlen, noch davon überzeugt war, daß wir einfach immer weitergehen würden, bis Piccadilly und vielleicht darüber hinaus, zog Bridget mich pl ötzlich energisch nach links, eine Treppe hinauf zu einer imposanten Eingangstür. Ehe ich auch nur die Hausnummer erkennen konnte, fiel die Tür auch schon hinter uns ins Schloß, und da waren wir, in einem Vestibül mit Samtvorhängen und zwei identisch aussehenden blonden Jüngelchen. Da ich mich an kein Läuten oder Anklopfen von seiten Bridgets erinnere, nehme ich an, daß die beiden auf ihrem Videoüberwachungsschirm nach uns ausgespäht hatten. Ich weiß noch, daß sie graue Flanellhosen trugen, genau wie ich, und Blazer, die von oben bis unten durchgeknöpft waren. Und ich weiß, daß ich mich fragte, ob das wohl in der Welt, in der sie sich bewegten, Vorschrift war und ob ich die Knöpfe meines Tweedsakkos nicht besser auch schließen sollte.
    »Skipper verspätet sich«, sagte der sitzende Knabe zu Bridget, ohne den Blick von dem Schwarzweißbild der Tür zu wenden, durch die wir gerade gekommen waren. »Aber er ist unterwegs, okay? Viertelstunde, höchstens. Wollen Sie ihn bloß abliefern oder warten?«
    »Warten«, sagte Bridget.
    Der Knabe streckte die Hand nach meiner Tasche aus. Auf Bridgets Nicken hin übergab ich sie ihm.
    Die pr ächtige Halle, in die wir traten, wurde von einer Kuppel mit einem Deckengemälde überwölbt, weiße Nymphen und weiße Babys, die Trompete spielten. Eine majestätische Treppe teilte sich auf halber Höhe und schwang sich zu einer Galerie mit mehreren geschlossenen Türen empor. An ihrem Fuß wurde sie von zwei weiteren Türen eingerahmt, groß und imposant, darüber goldene Adler mit ausgebreite ten Schwingen. Bei der rechten versperrte eine zwischen Messinghaken gespannte Seidenkordel den Zugang. Solange ich da war, ging niemand durch sie hindurch. An der linken prangte ein rotes Leuchtschild: Konferenz Ruhe Bitte , ohne Satzzeichen, wie ich gleich bemerkte, denn in Sachen Interpunktion entgeht mir so leicht nichts. Ein Pedant, dachte ich, h ätte es auch als Imperativform deuten können: Konferenz, nun ruhe doch bitte! Was nur beweist, wie sehr meine Gemütsverfassung zwischen postkoital, übermütig, nervös und völlig abgedreht schwankte. Ich habe nie Drogen genommen, aber genau so stellte ich mir die Wirkung vor, und deshalb hielt ich mich mit aller Kraft an Einzelheiten fest, bevor sie sich womöglich in etwas

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