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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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für ein beschissener Tod. In welchem?«
    »North London District.«
    »Staatlich oder privat?«
    »Staatlich. Aber teilweise privat. Raumweise. Es hat eine eigene Station für Blutkrankheiten.«
    »Ich wette, er wünscht sich noch ein Jahr mehr. Wer im Sterben liegt, meint immer, er braucht noch ein Jahr. Wünscht er sich noch ein Jahr?«
    »Hat er nicht gesagt, Sir. Bis jetzt jedenfalls nicht. Soviel ich weiß, zumindest.«
    »Kann er schlucken?«
    Mir fiel der Geruch nach Methylalkohol in Jean-Pierres Atem ein. Doch, er konnte schlucken.
    »Dann soll sie ihm eine Überdosis verpassen. Eine Flasche l ösliches Aspirin, da kann nichts schiefgehen. Hauptsache, sie hinterläßt keine Fingerabdrücke. Und die Flasche kann sie unter seinem Kopfkissen verstekken. Hast du dein Handy noch, Anton?«
    »Am Leib, Skipper.«
    »Laß ihn anrufen, dann gibst du’s ab. Keine Handys bei der Operation. Und geraucht wird auch nicht«, rief er in den Raum. »Das war eure letzte Zigarette. Kippen aus!«
    »Ich hätte es gern ein bißchen privat«, sagte ich zu Anton, als Maxie uns verlassen hatte.
    »Hätten wir das nicht alle gern?« antwortete er, ohne sich von der Stelle zu rühren.
    Ich zog das Tweedsakko aus und krempelte den linken Hemds ärmel hoch, um die Telefonnummer der Station lesen zu können, die Hannah mir mit dem Filzstift hinter ihrem Ohr auf den Unterarm geschrieben hatte. Ich wählte. »Tropenkrankheiten«, meldete sich eine Frauenstimme in jamaikanischem Singsang.
    »Ja, hallo, Grace«, sagte ich munter. »Ich rufe wegen des Patienten Jean-Pierre an. Ich glaube, Hannah ist an seinem Bett. Könnte ich sie bitte sprechen?«
    »Salvo?« Mein Herz machte einen Satz, aber es war immer noch Grace. »Sind Sie das, Salvo? Der Dolmetscher?«
    »Ja, genau. Könnten Sie mir jetzt bitte Hannah geben?« – das Handy fest ans Ohr gepreßt, Antons wegen. »Es ist persönlich, und es eilt ein bißchen. Wären Sie so nett, sie an den Apparat zu holen? Sagen Sie ihr einfach« – um ein Haar wäre mir »Salvo« herausge rutscht –, »daß ich es bin.« Rasches Lächeln zu Anton hinüber.
    Anders als Hannah lebte Grace nach afrikanischem Tempo. Je wichtiger eine Angelegenheit, desto mehr galt: Eile mit Weile. »Hannah hat zu tun, Salvo«, sagte sie schließlich vorwurfsvoll.
    Zu tun? Wie? Mit wem? Ich schlug einen milit ärischen Maxie-Ton an.
    »Trotzdem. Es dauert nur eine Minute. Es ist dringend, Grace. Sie weiß genau, worum es geht. Wenn Sie so gut wären, bitte.«
    Noch eine epochale Pause, die Anton geduldig mit mir teilte.
    »Geht es Ihnen gut, Salvo?«
    »Danke, ja. Ist sie da?«
    »Hannah ist grade bei der Oberschwester drin,  Salvo. Eine ganz ernste Sache. Sie hätten es gar nicht gern, wenn ich sie störe. Probieren Sie es lieber wann anders, Salvo. Morgen vielleicht, wenn sie frei hat.«
    Bei der Oberschwester? Der Halbg öttin in Weiß? Eine ganz ernste Sache? Was ? Daß sie mit verheirateten Dolmetschern schlief? Ich mußte ihr eine Nachricht hinterlassen – aber was für eine?
    »Salvo?« Wieder Grace.
    »Ja?«
    »Ich muß Ihnen was Trauriges sagen.«
    »Ja?«
    »Jean-Pierre. Der alte Mann, den sie auf der Heide aufgegabelt haben. Wir haben ihn verloren, Salvo. Hannah war ganz fertig. Ich auch.«
    An diesem Punkt mu ß ich die Augen geschlossen haben. Als ich sie wieder aufschlug, hatte Anton mir das Handy abgenommen und dem Jungen im Trainingsanzug ausgeh ändigt.
    »So heißt Ihre Frau, hm?« fragte er. »Hannah?«
    »Warum nicht?«
    »Woher soll ich das wissen, Chef? Kommt ganz drauf an, wen Sie sonst noch auf Ihrem Arm stehen haben.«
    Maxies M änner schulterten ihre Seesäcke und traten in die Dunkelheit hinaus. Vor uns ragte bedrohlich ein gedrungenes, namenloses Flugzeug in den Abendhimmel. Anton ging neben mir her, um den Franzosen mit der Baskenmütze kümmerte sich Benny.
     

5
    Es ist eine bekannte Tatsache, da ß am Vorabend der Schlacht die Gedanken noch des loyalsten Jungrekruten auf ungeahnte Abwege geraten können, teils bis an die Grenze zur Meuterei. Und ich will nicht leugnen, daß auch die meinigen keine Ausnahme bildeten, zumal sich unser fensterloses Fluggerät in puncto Innenausstattung, Belüftung und Beleuchtung eher für den Transport von Ausstellungshunden geeignet hätte und das Brüllen der beiden Triebwerke, nachdem sich ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt hatte, eine Toncollage sämtlicher Stimmen bildete, die ich nicht hören wollte, allen voran Penelopes. Statt

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