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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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hatte ich so viele der ganz Großen in einem Raum versammelt gesehen!
    »Klar wollen die Investoren was verdienen dabei, und warum auch nicht?« hörte ich Maxie sagen. »Wer das Risiko trägt, dem steht dafür auch was zu. Aber es springt immer noch genug für die Heimmannschaft raus, wenn die Aufregung vorbei ist: Schulen, Krankenhäuser, Straßen, sauberes Wasser. Und ein Licht am Ende des Tunnels f ür die heranwachsende Generation. Haben Sie irgendwas daran auszusetzen?«
    Wie k önnte ich? Wie könnte Hannah? Und wie ihr Sohn Noah und seine Millionen Altersgenossen?
    »Wenn also in den ersten Tagen ein paar hundert dran glauben müssen – und das werden sie –, sind wir dann die Guten oder die Bösen?« Er war aufgestanden und rieb sich energisch die schmerzende Radlerhüfte. »Eine Sache noch, wenn wir schon mal dabei sind.« Er rieb noch einmal. »Kein Fraternisieren mit den Eingeborenen. Sie sind nicht hier, um dauerhafte Beziehungen zu knüpfen, Sie machen hier einen Job. In der Mittagspause heißt es für Sie, ab in den Heizungskeller auf einen Schiffszwieback mit Spider. Noch Fragen?«
    Au ßer Bin ich ein Eingeborener? – keine.
    * * *
    Philips Ordner fest in der Hand, setze ich mich erst auf die Bettkante, dann in den Shaker-Schaukelstuhl, der vorschaukelt, aber nicht zur ück. Eben noch der Star der Show, zerfließe ich plötzlich fast vor Angst, ein Kivusee ganz für mich allein, in den alle Flüsse dieser Welt strömen und seine Ufer überschwemmen. Von meinem Fenster aus wirkt alles trügerisch heiter. Der Garten liegt gebadet im schrägen Sonnenlicht des afrikanischen Sommers, der Europa in diesem Jahr beschert wird. Wen würde es nicht locken, sich hier zu ergehen, fern von neugierigen Augen und Ohren an einem Tag wie heute? Wer könnte dem Grüppchen einladend aufgeklappter Liegest ühle im Pavillon widerstehen?
    Ich schlage den Ordner auf. Wei ßes Papier, kein Wasserzeichen. Keine Sicherheitsvermerke am oberen oder unteren Rand. Kein Adressat, kein Verfasser. Armeslänge eben. Meine erste Seite beginnt auf der Seitenmitte und trägt die Nummer siebzehn. Mein erster Absatz ist mit zwölf beziffert, woraus ich schließe, daß Absätze eins bis elf ungeeignet sind für das zarte Auge eines bloßen Dolmetschers, der sich unter wie über Wasser für sein Land aufreibt. Die Überschrift von Absatz zwölf lautet Kriegsherren .
    Kriegsherr Numero eins hei ßt Dieudonné, der von Gott Geschenkte. Dieudonné ist ein Munyamulenge und ethnisch damit ununterscheidbar von den verhaßten Ruandern. Er hat sofort meine Sympathie. Die Banyamulenge, wie sie im Plural heißen, waren meinem seligen Vater der liebste unter allen Stämmen. Romantisch wie je nannte er sie die Juden von Kivu, was als Verbeugung vor ihrer Zurückgezogenheit, ihrem Kampfesmut und ihrer tagtäglichen direkten Zwiesprache mit Gott gemeint war. Von ihren »reinrassigen« Mit-Kongolesen als Tutsi-Eindringlinge geschmäht und damit Freiwild für alle, harren die Banyamulenge seit über hundert Jahren auf dem unzugänglichen MulengePlateau im südlichen Hochland von Kivu aus, wo sie trotz unausgesetzter Verfolgung in schönstem Pluralismus ihre Schafe und Rinder züchten und die kostbaren Rohstoffvorkommen auf ihrem Grund und Boden ignorieren. Von diesem drangsalierten Volksstamm scheint Dieudonné ein Musterexemplar zu sein:
    Mit zweiunddrei ßig ein kampferprobter Krieger. Wurde in einer Urwaldmission bei skandinavischen Pfingstkirchlern erzogen, bis er alt genug zum Kämpfen war. Nach vorliegenden Erkenntnissen keinerlei Interesse daran, sich selbst zu bereichern. Bringt die uneingeschränkte Ermächtigung seiner Stammesältesten zur Durchsetzung folgender Ziele mit:
    Beteiligung der Banyamulenge an einer provisorischen neuen Regierung von S üd-Kivu im Vorgriff auf die Wahlen Beilegung der Territorialkonflikte auf dem Hochplateau R ückkehrrechte für die zu Tausenden aus dem Kongo vertriebenen Banyamulenge, insbesondere diejenigen, die durch die Unruhen in Bukavu 2004 zur Flucht gezwungen wurden Integration der Banyamulenge in die Zivilgesellschaft des Kongo und ein vertraglich gesichertes Ende der Verfolgungen der letzten f ünfzig Jahre Sprachen: Kinyamulenge und Kinyarwanda, Shi, Swahili, rudiment äres Französisch (sehr).
    Ich wende mich Kriegsherrn Numero zwei zu. Sein Name ist Franco, nach dem gro ßen afrikanischen Sänger, mit dessen Œuvre ich noch von Père Andres gesprungener Schallplatte im Missionshaus vertraut bin.

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