Geheime Melodie
sehe aus dem Fenster. Wenn es in meiner Kindheit ein Paradies gab, dann die ehemalige Kolonialstadt Bukavu, die sich am südlichen Ende des Kivusees zwischen sanfte Täler und nebelverhangene Berge schmiegt.
Die Familienunternehmen umfassen Kaffee- und Gem üseplantagen, mehrere Hotels, eine Brauerei mit eigenem Fuhrpark, ein Mineralienkontor, das mit Diamanten, Gold,
Kassiterit und Coltan handelt, sowie seit kurzem zwei Diskotheken, die Hajs ganzer Stolz sind. Der Gro ßteil dieser Unternehmen ist auf grenzüberschreitende Geschäfte mit Ruandern angewiesen.
Ein Kriegsherr also, der kein Kriegsherr ist und seinen Lebensunterhalt mit Hilfe seiner Feinde verdient.
Haj ist ein geschickter Organisator, der bei seiner Arbeiterschaft Respekt genie ßt. Mit der entsprechenden Motivation könnte er dank guter Beziehungen zu den Dorfführern in den Kaziba- und Burhinyi-Distrikten um Bukavu aus dem Stand eine fünfhundert Mann starke Miliz aufstellen. Hajs Vater Luc, Begründer des Familienimperiums, leitet ein ähnlich eindrucksvolles Firmenkonglomerat in der Hafenstadt Goma am Nordende des Sees.
Ich gestatte mir ein rasches L ächeln. Wenn Bukavu mein Kindheitsparadies ist, dann ist Goma das von Hannah.
Luc ist ein Veteran der Gro ßen Revolution und langjähriger Kampfgenosse des Mwangaza. Steht in Kontakt mit anderen einflußreichen Händlern in Goma, die sich wie er über die wirtschaftliche Gängelung Kivus durch Ruanda ärgern. Luc wollte der heutigen Konferenz ursprünglich persönlich beiwohnen, unterzieht sich aber derzeit in einer Spezialklinik in Kapstadt einer kardiologischen Behandlung, weshalb Haj für ihn einspringt.
Was genau hat es also zu bieten, dieses Vater-Sohn Duo von modernen R äuberbaronen?
Mit dem rechten Mann zum rechten Zeitpunkt w ären Luc und seine Unterstützer in Nord-Kivu bereit, einen Volksaufstand in den Straßen von Goma loszutreten und dem Mwangaza unter der Hand militärische und politische Unterstützung zukommen zu lassen. Als Gegenleistung fordern sie Macht und Einfluß in der neuen Provinzregierung.
Und Haj?
In Bukavu w ürde es Haj leichtfallen, die Unternehmer und Intellektuellen um ihn, die ein Ventil für ihren Haß auf Ruanda suchen, für den Pfad der Mitte zu gewinnen.
Aber vielleicht gibt es ja noch einen etwas prosaischeren Grund, weshalb uns Haj heute mit seiner Anwesenheit beehrt:
Als Zeichen seiner Bereitschaft, sich f ür den Pfad der Mitte einzusetzen, hat Luc eine Vorabprovision in Höhe von [AUSGESTRICHEN] akzeptiert, deren Empfang er schriftlich quittiert hat.
Haj spricht Shi, schlechtes Swahili, scheint sich aber zu Handelszwecken Kinyarwanda beigebracht zu haben. Die Sprache seiner Wahl allerdings ist ein »ausnehmend kultiviertes« Französisch.
So sieht ’s also aus, sagte ich in Gedanken zu Hannah, während ich zur Tür ging, gegen die heftig geklopft wurde: ein Bauern-Soldat der Banyamulenge, ein verkrüppelter Mai-Mai-Kämpe und ein studierter, französisierter Asphaltgockel, der für seinen Vater an tritt. Wie in aller Welt sollte ein betagter Professor, und sei er noch so idealistisch, aus diesem seltsamen Trio eine friedliebende Allianz f ür Demokratie schmieden können, ob nun mit vorgehaltener Knarre oder ohne?
»Schönen Gruß von Skipper, hier kommt der Rest von Ihren Hausaufgaben«, sagte Anton und drückte mir einen Aktendeckel in die Hand. »Und dieses pikante kleine Pamphlet nehm ich Ihnen mal lieber ab, wenn ich schon hier bin, Chef. Nicht daß die Kinder noch rankommen.«
Im Klartext: Hier kommt eine Photokopie von Jaspers anonymem Vertrag im Austausch f ür Philips anonymes Hintergrunddossier.
* * *
In den Schaukelstuhl zur ückgelehnt zur vorbereitenden Lektüre, bemerkte ich amüsiert, daß die französischen Akzente mit Todesverachtung von Hand hineingemalt waren. Eine Präambel erklärte die namenlosen Parteien der Vereinbarung.
Partei Nr. 1 ist eine philanthropische Risikokapital-Gesellschaft mit Sitz im Ausland, die kosteng ünstige landwirtschaftliche Geräte und Leistungen auf Selbsthilfebasis an finanziell angeschlagene oder zahlungsunfähige zentralafrikanische Staaten liefert.
In anderen Worten: das anonyme Syndikat.
Partei Nr. 2, nachstehend der Landwirt genannt, ist ein namhafter Akademiker, der sich eine radikale Neuorganisation veralteter Strukturen zum gr ößeren Wohle aller Teile der indigenen Bevölkerung zum Ziel gesetzt hat.
Oder auf gut franz ösisch: der Mwangaza.
Partei Nr. 3, nachstehend die
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