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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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überlebt, und alle sitzen an ihrem Platz bis auf Jasper, der nach der Begrüßung durch den Mwangaza und seine Ratgeber von Benny sogleich aus dem Raum expediert worden ist, zum Schutze seines zarten professionellen Gewissens, nehme ich an. Philips Ansprache ist launig und knapp, und seine Pausen setzt er da, wo ich sie mir wünsche.
    Zum Ansprechpartner habe ich mir eine Literflasche Perrier erkoren, die einen halben Meter vor mir steht: Blickkontakt in den ersten Minuten einer Sitzung kann beim Dolmetschen fatal sein. Man schaut sich an, ein Funke der Komplizenschaft springt über, und schon hat der andere einen für den Rest der Zeit in der Tasche. Das Äußerste, was ich mir deshalb zuge stehe, sind ein paar verstohlene Seitenblicke durch gesenkte Lider, die mir den Mwangaza als hypnotischen Schatten zeigen, vogelartig hingekauert zwischen seinen beiden Gefolgsm ännern: hier der pockennarbige und gestrenge Tabizi, Ex-Schiit und neubekehrter Christ, von Kopf bis Fuß in edle Anthrazittöne gekleidet, dort sein glänzend glatter namenloser Jünger und politischer Berater, den ich insgeheim den Delphin taufe, seiner Unbehaartheit und seines AllwetterLächelns wegen, das, wie auch das schnürsenkeldünne Ringelschwänzchen, das aus seinem rasierten Nacken sprießt, ein Eigenleben zu führen scheint. Maxie hat eine Art Regimentskrawatte umgebunden. Ich bin angewiesen, ihm nichts ins Englische zu übersetzen, wenn er mir nicht das Zeichen dazu gibt.
    Ein paar Bemerkungen an dieser Stelle zur Psychologie des Multilinguisten. Menschen, die von einer europ äischen Sprache in eine andere wechseln, wechseln damit, wie häufig angemerkt wird, auch die Persönlichkeit. Ein Engländer, der ins Deutsche umschaltet, redet lauter. Seine Mundstellung verändert sich, er verlagert den Stimmsitz nach vorn, verzichtet auf Selbstironie zugunsten von Dominanz. Eine Engländerin, die französisch spricht, macht alles an sich weicher, wirft keck die Lippen auf, während ihr männliches Pendant Gefahr läuft, gestelzt zu klingen. Ich nehme mich da nicht aus. Aber die afrikanischen Sprachen lassen derlei feine Unterscheidungen nicht zu. Sie sind funktional, sie sind robust, selbst das koloniale Französisch. Es sind Bauernsprachen, in denen gut Tacheles reden oder, bei einem Streit, gut schreien ist, was die Kongo lesen mit Leidenschaft tun. Ausfl üchte macht man weniger mittels verbaler Verrenkungen als mittels Themawechsel oder, wenn man auf Nummer Sicher gehen will, mit einem Sprichwort. Gut, manchmal merke ich beim Umschalten von einer Sprache in eine andere, daß ich weiter hinten in der Kehle artikuliere als sonst, um den richtigen Atem zu haben, den richtigen heiseren Ton. Oder ich habe, wenn ich zum Beispiel Kinyarwanda spreche, einen Moment lang das Gefühl, einen heißen Stein zwischen den Zähnen zu balancieren. Aber alles in allem gilt: Sobald ich an meinem Platz sitze, bin ich mit der Zielsprache eins.
    Philip hat seine Begr üßungsrede beendet. Sekunden später komme auch ich ins Ziel. Er setzt sich und belohnt sich mit einem Schluck Wasser aus seinem Glas. Ich trinke einen Schluck aus dem meinigen, nicht weil ich Durst habe, sondern weil Philip meine Bezugsperson ist. Ich wage einen weiteren verdeckten Blick auf den gewaltigen Franco und seinen Nachbarn, den abgezehrten Dieudonné. Über Francos Gesicht zieht sich eine Narbe vom Scheitel bis ganz hinunter zur Nasenspitze. Ob wohl seine Arme und Beine in ähnlicher Weise verziert sind, als Teil des Initiationsritus, der ihn gegen feindliche Kugeln feit? Dieudonnés Stirn ist hoch und mädchenhaft glatt, und sein verträumter Blick scheint auf die Hügel gerichtet, aus denen er herabgestiegen ist. Der Dandy Haj, der sich auf Francos anderer Seite fläzt, ignoriert die beiden geflissentlich.
    * * *
    »Guten Morgen, meine Freunde! Sind euer aller Augen auf mich gerichtet?«
    Er ist so klein, Salvo. Wie kommt es, da ß so viele kleingewachsene Männer mehr Mut haben als die großen, starken? Klein von Statur, so klein wie Cromwell der Mann des Volkes, entfaltet er doppelt soviel Energie pro Kilo Lebendgewicht wie alle anderen um ihn. Leichte Baumwolljacke, waschbar, wie sich’s für einen Wanderprediger gehört. Heiligenschein aus graumeliertem Haar, rundum gleich lang: ein schwarzer Einstein ohne den Schnauzbart. Und am Hals, wo bei anderen der Krawattenknoten sitzt, die Goldmünze, von der Hannah mir berichtet hat, so groß wie ein Fünfzig-Pence-Stück: Es ist sein

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