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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Sklavenhalsband, Salvo. Es zeigt an, daß er nicht käuflich ist. Er ist schon verkauft, Pech gehabt. Er gehört den Menschen von ganz Kivu, und dies ist die Münze, mit der sie für ihn bezahlt haben. Er dient dem Pfad der Mitte!
    Ja, aller Augen sind auf dich gerichtet, Mwangaza. Auch meine Augen. Ich mu ß nicht mehr Zuflucht bei meiner Wasserflasche suchen, während ich darauf warte, daß er zu sprechen beginnt. Unsere drei Delegierten, die es sich als höfliche Afrikaner versagt haben, den Lichtbringer während Philips Begrüßung zu mustern, starren nun, was das Zeug hält. Wer ist er? Welche Geister leiten ihn, welchen Zauber übt er aus? Liest er uns jetzt die Leviten? Droht er uns, spricht er uns frei, macht er uns lachen, macht er uns reich, macht er, daß wir tanzen und uns umarmen und einander unser Herz ausschütten? Oder verspottet er uns, so daß wir uns elend fühlen, voll der Schuldgefühle und Selbstbezichtigungen, die f ür uns Kongolesen, und für uns Halb-Kongolesen, ohnehin an der Tagesordnung sind: der Kongo, die Lachnummer Afrikas, vergewaltigt, ausgeplündert, verkorkst, bankrott, korrupt, blutrünstig, verhöhnt und für dumm verkauft, in jedem Land des Kontinents berüchtigt für seine Unfähigkeit, seine Sittenlosigkeit und Anarchie?
    Wir warten darauf, da ß er sich in Schwung redet, uns aufpeitscht, aber er spannt uns auf die Folter, so lange, bis Angst uns den Mund ausdörrt und die Blase uns fast platzen will – oder zumindest dem Kind, das es nicht gibt, was daran liegt, daß unser großer Erlöser eine irritierende Ähnlichkeit mit Père André hat, dem Oberprediger unserer Mission. Wie André läßt er es sich nicht nehmen, sämtliche Gemeindeglieder der Reihe nach mißmutig ins Auge zu fassen, erst Franco, dann Dieudonné, dann Haj und als letzten mich, ein langer finsterer Blick für jeden von uns, mit dem Unterschied allerdings, daß ich zu den Augen auch noch seine Hände auf mir spüre, wenn auch nur in meiner hyperaktiven Erinnerung.
    »Nun, meine Herren! Jetzt, wo ihr mich alle anseht, meint ihr da nicht, daß es ein gewaltiger Fehler von euch war, hierherzukommen? Vielleicht hätte Monsieur Philippes hervorragender Pilot euch lieber auf einer anderen Insel absetzen sollen.«
    Seine Stimme ist zu m ächtig für ihn, aber getreu meiner Gewohnheit spreche ich meine französische Fassung gedämpft, fast wie zu mir selbst.
    »Wonach sucht ihr hier, frage ich mich?« donnert er über den Tisch hinweg den alten Franco an, daß der vor Wut mit den Kiefern malmt. »Doch gewiß nicht nach mir, oder? Was wollt ihr mit mir denn anfangen? Ich bin der Mwangaza, ich will harmonische Koexistenz und Wohlstand für ganz Kivu. Ich denke mit meinem Kopf, nicht mit meinem Gewehr oder meiner panga oder meinem Penis. Ich verplempere meine Zeit nicht mit Mörderpack wie den Mai Mai, o nein!« Worauf er Dieudonné aufs Korn nimmt: »Und auch nicht mit Bürgern zweiter Klasse wie den Banyamulenge, o nein!« – jetzt ein herausforderndes Kinnrucken in Richtung Haj – »und erst recht nicht mit reichen jungen Schnöseln aus Bukavu, besten Dank« – aber doch nicht ohne ein Insiderlächeln für den Sohn seines alten Waffenbruders und Stammesgenossen – »nicht einmal, wenn sie mir Freibier und einen Job in einer ruandischen Goldmine anbieten – o nein! Ich bin der Mwangaza, das gute Herz des Kongo und redlicher Diener eines starken vereinten Kivu. Wenn das allen Ernstes die Person ist, deretwegen ihr hierhergekommen seid … wenn das tatsächlich der Fall sein sollte – laßt mich zumindest mit dem Gedanken spielen –, dann seid ihr vielleicht doch auf der richtigen Insel gelandet.«
    Die überdimensionale Stimme senkt sich in vertrauliche Tiefen hinab. Meine klettert auf französisch hinterher.
    »Sind Sie vielleicht ein Tutsi , mein Herr?« fragt er mit einem bohrenden Blick in die blutunterlaufenen Augen von Dieudonné. Er stellt die Frage einem Delegierten nach dem anderen, dann ihnen allen gemeinsam. Sind sie Tutsi? Hutu? Bembe? Rega? Fulero? Nande? Oder Shi, wie er?
    »Wenn ja, dann verlassen Sie bitte sofort diesen Raum. Unverzüglich. Auf der Stelle. Nichts für ungut.« Er zeigt theatralisch auf die offene Terrassentür. »Gehen Sie! Einen schönen Tag noch, meine Herren! Haben Sie Dank für Ihren Besuch. Und schicken Sie mir bitte die Rechnung über Ihre Unkosten.«
    Niemand r ührt sich, mit Ausnahme des zappeligen Haj, der die Augen verdreht und listig von einem seiner ungleichen

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