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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Bewachungsteam zu instruieren. Ein zweites Flugzeug brummte über uns hinweg, und wieder war ich zu langsam. Einige Minuten vergingen, während derer mein Blick gleichsam ohne mein Zutun aus dem Spielzimmer schweifte, hinaus in die herrschaftlichen Anlagen vor den Fenstern. Und dieser Umstand bescherte mir den Anblick eines hocheleganten weißen Gentleman in Panamahut, zartbraunen Hosen, roséfarbenem Hemd, roter Krawatte und einem maßgeschneiderten marineblauen Blazer jenes Typs, der in Gardekreisen als boating jacket firmiert. Er hob sich als Silhouette vor dem Himmel ab, dieser Gentleman, während er das grasbewachsene Hügelchen emporstieg bis zum Pavillon, wo er sich zwischen zwei Säulen lehnte wie ein britischer Ägyptologe alten Schlags und zurücklächelte in die Richtung, aus der er gekommen war. Und schon dieser erste, verdeckte Blick machte mir klar, daß hier eine Schlüsselfigur die Bildfläche betreten hatte: unser unabhängiger Afrika-Berater und – wieder Maxies Worte – Strippenzieher Philip (oder Philippe), der fließend Französisch und Lingala sprach, nicht aber Swahili, Wegbereiter unserer Konferenz, Botschafter beim Mwangaza und bei unseren Delegierten.
    Der n ächste am Horizont war ein schlanker, ungemein würdevoller Schwarzafrikaner. Er trug einen Bart und einen nüchternen europäischen Anzug, und er schritt so versonnen einher, daß er mich an Pater Michael bei der Fastenprozession rund um den Innenhof des Herz-Jesu-Heims erinnerte. Es bedurfte darum keiner gro ßen seherischen Gaben meinerseits, um ihn als unseren pfingstbewegten Viehzüchter zu identifizieren, den Kriegsherrn Dieudonné, bevollmächtigter Abgesandter der verachteten und verfolgten Banyamulenge, die meinem seligen Vater so lieb gewesen waren.
    Ihm folgte ein zweiter Afrikaner, der als der bewu ßte Gegenentwurf zu ihm gedacht schien: ein haarloser Riese im braunen Glitzeranzug, dessen Jacke über seiner Leibesfülle spannte, während er seines Weges humpelte, das linke Bein nachziehend unter gewaltsamen Seitwärtsdrehungen des ganzen Torsos. Wer anders konnte dies sein als Franco, unser hinkender Haudegen, ehemaliger Mobutu-Schläger und derzeitiger Colonel-oder-mehr bei den Mai Mai, erklärter Intimfeind und gelegentlicher Zweckverbündeter des Mannes, der nur ein kleines Stück vor ihm ging?
    Und ganz zum Schlu ß, gleichsam als achtloses Zugeständnis an den Rest, der Dritte im Bunde, das enfant terrible, Haj, der Sorbonne-Absolvent und ungekrönte Kaufmannsprinz von Bukavu: aber dermaßen verachtungsvoll, dermaßen geckenhaft, dermaßen betont hinter seinen Mitdelegierten herbummelnd, daß ich mich fragte, ob er nicht vielleicht bereute, für seinen Vater eingesprungen zu sein. Haj war weder ausgemergelt wie Dieudonné noch öligkahl wie Franco. Er war ein Großstadt-Dandy. Sein Haar war an den Seiten kurzgeschoren, und in die Stoppeln waren Wellenlinien rasiert. Über der Stirn prangte eine prächtig in Form gegelte Tolle. Und was seine Kleider betraf: nun, Hannahs hehre Leitsätze mochten mein Verlangen nach derlei Äußerlichkeiten zwar gedämpft haben,
    aber bei den Lumpen, in die Mr. Anderson mich gesteckt hatte, lie ß Hajs Aufmachung den Schmerz wieder frisch auflodern. Was ich hier vor mir sah, war der letzte Schrei aus der Zegna-Sommerkollektion: ein Dreiteiler aus graubraunem Mohair für den Mann, der schon alles hat oder gern hätte, und als Kontrast dazu ein Paar spitzer lindgrüner italienischer Krokodillederschuhe, die ihn, so sie echt waren, pro Fuß gut und gern zweihundert Pfund gekostet haben mußten.
    Wie mir seitdem best ätigt worden ist, bildete die Szene auf dem Grashügel den Schlußpunkt einer Besichtigungstour, bei der Philips Schützlinge sämtliche Highlights des Anwesens vorgeführt bekamen, von der verwanzten Suite, in der sie zwischen den Sitzungen sie selbst sein konnten, bis hin zu dem verwanzten Park, wo sie in den Genuß jenes zusätzlichen Quentchens Privatsphäre kamen, das für einen offenen, fruchtbaren Meinungsaustausch so unerläßlich ist.
    Ausladende Geste von Philip, und die drei Delegierten sp ähen folgsam aufs Meer hinaus, dann hinüber zum Friedhof. Und als Haj sich mit den anderen dreht, schwingt das Jackett seines Zegna-Anzugs auf und läßt senfgelbes Seidenfutter hervorblitzen und dazu etwas Stählernes, das im Sonnenlicht blinkt. Was kann das sein, überlege ich. Eine Messerklinge? Ein Handy, und wenn ja, sollte ich es Maxie melden? – oder lieber versuchen, es

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