Geheime Melodie
für Philip. Der alte Franco hatte Dieudonné, seinen menschlichen Krückstock, beiseite gerempelt und umfing nun meine beiden Hände mit seinen Pranken. Und jeder normale Durchschnittseuropäer hätte in ihm vermutlich nur einen fetten Afrikaner in einem Glitzeranzug gesehen, der sich mit unseren westlichen Gebräuchen schwertut. Aber nicht Salvo, das Kind, das es nicht gab. Für Salvo war er der rauhbeinige selbsternannte Beschützer unserer Mission, bei Patres und Dienstboten gleichermaßen als Beau-Visage bekannt, einsamer Räuber und Vater zahlloser Kinder, der bei Einbruch der Nacht, Urwaldmagie im Blick, ein vorsintflutliches belgisches Schie ßeisen in der Hand und eine Jagdtasche über der Schulter, aus der ein Fäßchen Bier und eine frisch erlegte Antilope hervorlugten, in unser Missionshaus aus rotem Backstein geschlichen kam – einen Weg von zwanzig Meilen auf sich nahm, um uns vor Gefahr im Verzug zu warnen. Am Morgen fand man ihn dann mit dem Gewehr über den Knien auf der Türschwelle sitzend, die Augen geschlossen, lächelnd im Schlaf. Und noch am gleichen Nachmittag konnte man ihn auf dem Marktplatz der Stadt antreffen, wo er den unglücklichen Safari-Touristen seine grausigen Souvenirs andrehte: eine abgeschlagene Gorillapfote oder den geschrumpften augenlosen Schädel eines Impala.
»Bwana Sinclair«, begann nun dieser ehrwürdige Gentleman, wobei er die geballte Faust hochhielt, um sich Ruhe zu verschaffen. »Ich bin Franco, ein hoher Offizier der Mai Mai. Die Mai Mai sind eine Kriegsmacht, von unseren Vorvätern ins Leben gerufen zum Schutz unseres heiligen Landes. Ich war noch ein Kind, da hat ruandisches Gesindel unser Dorf überfallen, unsere Felder abgebrannt und drei von unseren Kühen in Stücke gehackt, alles aus purem Haß. Unsere Mutter hat sich mit uns im Wald versteckt. Als wir zurückkamen, hatten sie meinem Vater und zweien meiner Brüder die Sehnen durchgeschnitten und sie danach in Stücke gehackt.« Mit gekrümmtem Daumen wies er auf Dieudonné hinter ihm. »Als meine Mutter todkrank war und ins Krankenhaus sollte, hat dieses Banyamulenge-Gewürm sich geweigert, uns passieren zu lassen. Sechzehn Stunden lag sie sterbend am Wegrand, vor meinen Augen. Darum bin ich kein Freund der Fremden und Eindringlinge. « Ein tiefer Atemzug, gefolgt von einem noch tieferen Seufzer. »Nach der Verfassung sind die Mai Mai offizieller Teil der Armee von Kinshasa. Aber dieser Zusammenschluß besteht nur auf dem Papier. Mein General bekommt von Kinshasa eine prächtige Uniform, aber keinen Sold für seine Männer. Er bekommt einen hohen Rang verliehen, aber keine Waffen. Darum haben die Geister meines Generals ihm befohlen, den Worten dieses Mwangaza Gehör zu schenken. Und da ich meinen General achte und von denselben Geistern geleitet werde, und da ihr uns gutes Geld und Waffen versprochen habt, bin ich hier, um zu tun, wie mein General mich geheißen hat.«
Befl ügelt von solch starken Worten, öffnete ich schon den Mund, um sie auf französisch kundzutun, als ein weiterer vielsagender Blick von Philip mich jäh innehalten ließ. Hörte Franco mein Herz hämmern? Hörte Dieudonné es, der direkt hinter ihm stand? Hörte der Stutzer Haj es? Alle drei sahen mich ermunternd an, ihre Blicke eine einzige Aufforderung, Francos Wortschwall zu übersetzen. Aber dank Philip hatte ich gerade noch rechtzeitig geschaltet. Vor lauter Feierlichkeit war Franco in seine Muttersprache verfallen, Bembe – und Bembe beherrschte ich offiziell nicht.
Nicht da ß Philips Gesicht irgend etwas davon widerspiegelte. Er lachte vergnügt in sich hinein, schmunzelnd über den Lapsus des alten Mannes. Haj hinter ihm stieß in ein hyänenartiges Hohngelächter aus. Aber Franco, keineswegs aus der Fassung gebracht, sagte sein Spr üchlein unverdrossen noch einmal von vorn auf, in einem mühseligen Swahili nun. Und er war noch mitten im Reden und ich noch mitten im beifälligen Nicken, als zu meiner innigen Erleichterung die Tür auf der Hausseite aufflog und Benny den atemlosen Maxie hereingeleitete, auf dem Fuß gefolgt von seinen drei Gästen, der Mwangaza in ihrer Mitte.
* * *
Ich bin nicht im Boden versunken, niemand hat mit dem Finger auf mich gezeigt und mich blo ßgestellt. Irgendwie haben wir um den Spieltisch zusammengefunden, und ich übersetze Philips Willkommensworte ins Swahili. Das Swahili hat seine übliche befreiende Wirkung auf mich. Irgendwie habe ich auch das Händeschütteln und die Vorstellungen
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