Geheime Melodie
Dieudonn é: So was.
Sitzen sie oder stehen sie? Horch genau hin, und du h örst ein ungleichmäßiges Quietschen von Turnschuhsohlen, das ist Francos Hinkebein, während Haj mit seinen lindgrünen Krokodillederschuhen auf dem harten Boden herumtänzelt. Horch noch genauer hin, und du hörst einen unterdrückten Ächzer und das Seufzen eines Schaumstoffkissens, das ist Dieudonné, der sich in einen Lehnstuhl sinken läßt. So gut werden wir Tondiebe unter Mr. Andersons Führung.
Haj: Eins gleich mal vorneweg, mein Lieber.
Dieudonn é: (Mißtrauisch ob dieser herzlichen Anrede) Nämlich?
Haj: Die Menschen in Kivu sind tausendmal mehr an Frieden und Vers öhnung interessiert als diese Arschlöcher in Kinshasa. (Mit Volksverhetzerstimme) Bringt sie alle um! Stecht ihnen ihre ruandischen Augen aus! Wir stehen geschlossen hinter dir, Mann! Zweitausend Kilometer hinter dir, genauer gesagt. Und fast alles davon Dschungel. (Wartet, vermutlich auf eine Reaktion, bekommt aber keine. Erneutes Klacken der Krokosohlen) Und der Alte haut genau in dieselbe Kerbe (äfft den Mwangaza nach, gar nicht schlecht): Laßt uns unser schönes grünes Land säubern von diesem verderbenbringenden Ungeziefer, meine Freunde. O ja. Laßt uns unser Heimatland an unsere geliebten Landsleute zurückgeben! Und recht hat er! Wer findet das nicht? (Wartet. Keine Antwort) Antrag einstimmig angenommen. Schmeißt sie raus, sage ich. Zack! Batsch! V e r p i ß t e u c h ! (Keine Antwort) Aber natür lich gewaltlos. (Kleiner Trommelwirbel der Krokosohlen) Das Problem ist blo ß, wo hören wir auf? Ich meine, was ist mit den armen Schweinen, die sich ’94 zu uns geflüchtet haben? Schmeißen wir die auch raus? Schmeißen wir unseren Dieudonné raus? Nehmt eure Blagen mit, aber eure Kühe laßt ihr gefälligst hier!
Haj entpuppt sich als genau der Saboteur, als den ich ihn oben schon in Verdacht hatte. Auf nonchalante und doch zersetzende Weise hat er es geschafft, binnen Minuten das Thema mit dem gr ößten Spaltungspotential überhaupt anzuschneiden: den ungeklärten Status der Banyamulenge und Dieudonnés Eignung oder Nicht-Eignung zum Verbündeten in unserem Unterfangen.
Franco: (Ein weiteres Sprichwort, diesmal im Ton einer Kampfansage) Ein Baumstamm kann zehn Jahre im Wasser liegen. Aus ihm wird doch nie ein Krokodil.
(Lange, angespannte Pause)
Dieudonn é: Franco!
Ein Kreischen in meinem Kopfh örer schleudert mich fast aus meinem Sitz: Der wütend auffahrende Dieu-donné hat seinen Sessel über den Steinboden zurückgestoßen. Ich meine ihn vor mir zu sehen, die Hände um die Armlehnen gekrampft, Schweißperlen auf der Stirn, während er den Kopf in leidenschaftlicher Beschwörung zu Franco hochreckt.
Dieudonn é: Wann wird das je enden, Franco? Ihr gegen uns? Die Banyamulenge mögen Tutsis sein, aber wir sind keine Ruander! (Sein Atem macht ihm zu schaffen, aber er achtet nicht darauf) Wir sind Kongolesen, Franco, so kongolesisch wie die Mai Mai! Doch! (Übertönt Francos höhnischen Einspruch) Der Mwangaza begreift das, und ihr doch manchmal auch! (Und noch einmal auf französisch, des größeren Nachdrucks wegen) Nous sommes tous Zaïrois! Erinnerst du dich, was die Kinder zu Mobutus Zeiten in der Schule gesungen haben? Warum können wir das jetzt nicht auch singen? Nous sommes tous Congolais!
Nein, Dieudonn é, nicht wir alle, berichtige ich ihn im Geist. Auch ich habe diese Worte in der Schule stolz im Chor mit meinen Klassenkameraden gesungen, bis sie eines Tages mit dem Finger auf das Kind zeigten, das es nicht gab, und schrien: Pas Salvo, pas le métis! Pas le cochon rasé!
Dieudonn é: (Setzt seine Suada fort) Beim Aufstand ’64 kämpfte mein Vater, ein Banyamulenge, Seite an Seite mit deinem Vater, einem Simba (rasselndes Atemschöpfen), und du selbst als junger Mann hast Seite an Seite mit ihnen beiden gekämpft. Hat euch das zu unseren Verbündeten gemacht? (Rasseln) Zu unseren Freunden! (Rasseln) Nein, das hat es nicht. (In zornigem Französisch bricht es aus ihm heraus) C’était une alliance contre la nature! Die Simba haben nicht aufgehört, uns zu töten und unser Vieh für ihre Sol daten zu stehlen, ganz genau wie die Mai Mai heute. Wenn wir Vergeltung üben, nennt ihr uns Banyamulenge-Abschaum. Wenn wir uns Zurückhaltung auferlegen, nennt ihr uns Banyamulenge-Feiglinge (ersticktes Keuchen nun). Aber wenn wir uns zusammenschließen könnten unter diesem … (Rasseln) … aufhörten mit dem Töten und dem Hassen
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