Geheime Melodie
man sich beeilen muß, um ihn bei einem bestimmten Ausdruck zu ertappen. Man meint einen zu sehen, aber wenn man das nächste Mal hinschaut, ist er bereits wieder verschwunden. Unsere drei Delegierten sitzen wie zuvor, Franco in ihrer Mitte. Dieudonné schaut jetzt grimmiger drein. An Francos Hals treten die Muskelstränge hervor wie Stricke. Einzig Haj legt eine provozierende Verachtung gegenüber dem Fortgang der Dinge an den Tag. Die Zegna-gewandeten Ellenbogen auf das grüne Tuch gestützt, scheint er interessierter am Blick aus dem Fenster als an seinem Lehen auf der Staffelei. Ist er mit dem Herzen bei der Sache? Liebt er Bukavu, wie ich es in meiner Erinnerung liebe? Schwer zu glauben.
Auftritt Anton, ein Billardqueue in der Hand. Sein Erscheinen verwirrt mich einen Moment lang. Warum ist er nicht drau ßen bei seinem Beobachtertrupp, wo er hingehört? Dann erst wird mir klar, daß es für ihn, solange unsere Delegierten schön brav im Besprechungszimmer sitzen, gar nichts zu beobachten gibt, was nur wieder zeigt, daß man noch so sehr auf Zack sein kann, sämtliche Nerven bloßgelegt und das dritte Ohr, das Dolmetscher-Ohr, gespitzt bis zum Gehtnichtmehr – der gesunde Menschenverstand setzt manchmal doch aus.
»Jetzt kommt ein bißchen Soldatenjargon, alter Junge«, warnt Maxie mich gedämpft. »Kommen Sie damit klar?«
Ob ich damit klarkomme, Skipper? Sie haben gefragt, ob ich Milit ärausdrücke draufhabe, und das habe ich. Anton reicht Maxie das Billardqueue: seine Waffe, sein Zauberstock. Eine Exerzierübung, Soldat an Offizier. Maxie faßt das Queue so, daß beide Enden genau austariert sind. Die Stimme klar, abgehackt. Einfache Sätze, wirksame Pausen. So, und jetzt hört. Ich höre, und dann lege ich mich ins Zeug.
»Das Wichtigste zuerst, Gentlemen. Es wird keine, ich wiederhole, keine bewaffnete Intervention durch nichtkongolesische Truppen in der Provinz Kivu geben. Machen Sie ihnen das unmißverständlich klar, alter Junge.«
Trotz meiner Überraschung tue ich wie mir geheißen. Haj stößt einen ironischen kleinen Juchzer aus, kichert und schüttelt ungläubig den Kopf. Francos knorriges Gesicht verzieht sich unwillig. Dieudonné senkt grübelnd die Lider.
»Alles, was passiert, wird ein spontaner Zusammenstoß zwischen traditionsgemäß feindlichen Stammesgruppen sein«, fährt Maxie unbeeindruckt fort. »Es wird ohne, ich wiederhole, ohne Beteiligung nichtkongolesischer Kräfte vonstatten gehen – ohne sichtbare jedenfalls –, ob das in Goma oder in Bukavu ist oder sonstwo. Sorgen Sie dafür, daß das bei Haj ankommt. Das ist das, was sein Vater uns zugesichert hat. Sagen Sie ihm das.«
Ich sage es ihm. Haj l äßt den Blick wieder zum Fenster hinausschweifen, wo eine Luftschlacht zwischen rivalisierenden Geschwadern von Krähen und Möwen im Gange ist.
»Ein prekäres Kräftegleichgewicht im Inneren wird vorübergehend gestört«, nimmt Maxie den Faden wieder auf. »Keine Kraft von außen, ob nationale Streitkräfte, Söldnertruppen oder Sonstiges, gießt dabei Öl ins Feuer. Was die internationale Gemeinschaft angeht, wird die Sache business as usual sein. Stellen Sie das für mich klar, okay, alter Junge?«
Ich stelle es klar f ür den Skipper. Hajs Krähen sind auf dem Rückzug, von der Übermacht der Möwen in die Flucht geschlagen.
»Das UNO-Hauptquartier in Bukavu ist ein einziger Sauhaufen«, verkündet Maxie mit Nachdruck, eine Formulierung, die ich lieber etwas abschwäche. »Genau eine mechanisierte Infanteriekompanie mit minensicheren gepanzerten Truppentransportern, eine uruguayische Wachkompanie, eine chinesische Pioniereinheit, auf den Gängen laufen sich Ruander und MaiMai-Repräsentanten in die Arme, und das Kommando über das Ganze führt ein nepalesischer Oberstleutnant kurz vor der Pensionierung. Beim kleinsten Furz hängen die schon an der Strippe und jammern New York um Beistand an. Wir wissen, wovon wir sprechen. Philip hat die Telefonate abgehört, stimmt’s?«
Mit einer kleinen Verbeugung quittiert Philip die Heiterkeit, die meine Übersetzung auslöst. Ein unabhängiger Berater, der im UNO-Hauptquartier spioniert? Insgeheim bin ich perplex, lasse mir aber nichts anmerken.
»Wenn die Kämpfe als rein kongolesische Angelegenheit durchgehen, werden die Blauhelme in Bukavu oder Goma oder sonstwo nur seufzend die Zivilisten evakuieren, sich in ihre Quartiere verkriechen und abwarten, wer gewinnt. Aber – und das sollte ein verdammt großes ABER werden,
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