Geheime Spiel
Blutvergießens folgen. So viel Zerstörung. Junge Männer aus den entferntesten Winkeln der Erde vollführten einen blutigen Todestanz. Erst der Major, dann David …
Nein. Ich verkrafte es nicht, diese Dinge noch einmal zu durchleben, und ich möchte es auch nicht. Es reicht zu erwähnen, dass sie sich ereignet haben. Kehren wir also zurück nach Riverton. Januar 1919. Der Krieg ist vorbei, und Hannah und Emmeline, die die letzten beiden Jahre in Lady Violets Londoner Stadtvilla verbracht haben, sind gerade eingetroffen, um bei ihrem Vater zu wohnen. Aber sie haben sich verändert, sie sind gewachsen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Hannah ist achtzehn und steht kurz vor ihrer offiziellen Einführung in die Gesellschaft. Emmeline, vierzehn, kann es kaum erwarten, in die Welt der Erwachsenen aufgenommen zu werden. Vergessen sind die Spiele der Vergangenheit. Vergessen, seit Davids Tod, das SPIEL. (Regel Nummer drei: Es darf nur drei Mitspieler geben, nicht mehr, nicht weniger.)
Gleich nach ihrer Rückkehr holt Hannah die chinesische Kiste vom Dachboden. Ich beobachte sie dabei, ohne dass sie es bemerkt. Ich folge ihr, als sie die Kiste vorsichtig in einen seidenen Beutel legt und zum See hinuntergeht.
Ich verstecke mich an der Stelle, wo der Weg zwischen dem Ikarus-Brunnen und dem See schmaler wird, und sehe, wie sie die Kiste am Ufer entlang zum alten Bootshaus trägt. Einen Moment lang bleibt sie stehen, blickt sich um. Ich ducke mich hinter ein paar Sträucher, um nicht entdeckt zu werden.
Sie stellt sich mit dem Rücken zur Uferböschung, das Gesicht dem See zugewandt, dann setzt sie ihre Füße so dicht voreinander, dass die Ferse des einen Fußes die Spitze des anderen berührt. Auf diese Art macht sie drei kleine Schritte auf den See zu und hält dann inne.
Sie wiederholt das Ganze noch dreimal, dann kniet sie sich auf den Boden und öffnet ihren Beutel. Nimmt einen kleinen Spaten heraus. (Den muss sie stibitzt haben, als Dudley gerade nicht aufgepasst hat.)
Hannah gräbt. Anfangs ist es schwer wegen der Schicht Kieselsteine, aber als sie die Erde darunter erreicht, geht es leichter voran. Sie hört erst auf, als der Erdhaufen neben ihr fast einen halben Meter hoch ist.
Schließlich nimmt sie die chinesische Kiste aus dem Beutel und legt sie in das Loch. Als sie gerade anfangen will, die Erde wieder daraufzuschütten, hält sie plötzlich inne. Sie nimmt die Kiste wieder heraus, öffnet sie und entnimmt ihr eines der winzigen Bücher. Sie öffnet das Medaillon, das sie an einer Kette um den Hals trägt, versteckt es darin, stellt die Kiste zurück in das Loch und schüttet es zu.
Ich mache mich auf den Rückweg und lasse sie allein am Seeufer zurück. Mr Hamilton wird mich vermissen,
wenn ich noch länger fortbleibe, und mit ihm ist zurzeit nicht zu spaßen. In der Küche herrscht große Aufregung. Es werden Vorbereitungen getroffen für die erste Dinnerparty seit Ausbruch des Krieges, und Mr Hamilton hat uns eingeschärft, dass die Gäste, die heute Abend erwartet werden, eine wichtige Rolle für die Zukunft der Familie spielen werden.
Und damit hatte er vollkommen recht. Aber wie wichtig die Rolle wirklich sein würde, konnten wir damals noch nicht ahnen.
Die Bankiers
B ankiers«, sagte Mrs Townsend mit wichtiger Miene und schaute erst Nancy, dann Mr Hamilton, dann mich an. Sie war gerade dabei, mit einem Klumpen öligen Teigs zu ringen, entschlossen, seinen Widerstand mithilfe ihrer marmornen Teigrolle zu brechen. Sie richtete sich auf und wischte sich die Stirn, sodass ihre Brauen anschließend mit Mehl betupft waren. »Und auch noch Amerikaner«, murmelte sie vor sich hin.
»Na, na, Mrs Townsend«, sagte Mr Hamilton tadelnd, während er einen prüfenden Blick auf die silbernen Salz-und Pfefferstreuer warf. »Mrs Luxton mag zwar aus der New Yorker Familie Stevenson stammen, aber Sie werden feststellen, dass Mr Luxton so englisch ist wie Sie und ich. In der Times steht, dass er aus dem Norden stammt.« Mr Hamilton schaute sie über seine Lesebrille hinweg an. »Ein Selfmademan sozusagen.«
Mrs Townsend schnaubte. »Von wegen Selfmademan. Dass er das Vermögen ihrer Familie geheiratet hat, hat ihm bestimmt nicht geschadet.«
»Mr Luxton mag in eine reiche Familie eingeheiratet haben«, erwiderte Mr Hamilton steif, »aber er hat seinen Teil zur Vermehrung des Vermögens beigetragen. Das Bankgeschäft ist eine komplizierte Angelegenheit: Man muss wissen, wem man Kredit gewähren kann
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