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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Irgendwann fing sie an, mich zu bearbeiten, ich solle mit ihr zum Tanzen gehen, bis ich mich schließlich überreden ließ, mich am Freitagabend mit ihr im Marshall’s Club zu treffen.
    Ich seufzte. »Allerdings ist sie dort nicht aufgetaucht.«
    »Aber John war da?«, fragte Ursula.
    »Ja«, sagte ich und musste an die verrauchte Luft denken, an den Barhocker in der Ecke, auf dem ich unbeholfen saß und die Menge nach Patty absuchte. Oh, sie hat sich tausendmal entschuldigt, als wir uns das nächste Mal sahen, aber da war es schon zu spät. Was geschehen war, war geschehen. »Ja, stattdessen habe ich John getroffen.«
    »Und Sie haben sich in ihn verliebt?«
    »Ich bin schwanger geworden.«
    Ursula schaute mich mit offenem Mund an.
    »Vier Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, habe ich es festgestellt. Einen Monat später haben wir geheiratet. So war das damals.« Ich verlagerte mein Gewicht, sodass ich mit dem Kreuz auf einem Kissen lag. »Zum Glück kam der Krieg dazwischen und hat uns weiteres Affentheater erspart.«
    »Er war im Krieg?«
    »Wir waren beide im Krieg. John als Soldat und ich als Krankenschwester in einem Feldlazarett in Frankreich. «
    Sie schaute mich verwirrt an. »Und was war mit Ruth?«
    »Sie wurde evakuiert und kam zu einem älteren anglikanischen Pfarrer und dessen Frau. Sie hat die Kriegsjahre dort verbracht.«

    »Sie war den ganzen Krieg über dort?« Ursula war schockiert. »Wie haben Sie das bloß ausgehalten?«
    »Ach, ich habe sie besucht, wenn ich Urlaub hatte, und ich erhielt regelmäßig Briefe: Dorfklatsch und Kanzelgeschwafel. Ziemlich düstere Geschichten über die Kinder im Dorf.«
    Sie schüttelte den Kopf, die Brauen besorgt zusammengezogen. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen … vier Jahre von meinem Kind getrennt zu sein.«
    Ich wusste nicht recht, was ich ihr antworten, wie ich es ihr erklären sollte. Wie beichtet man jemandem, dass Mutterliebe nicht von allein entsteht? Dass Ruth mir vom ersten Tag an wie eine Fremde erschienen war? Dass ich das Gefühl tiefer Verbundenheit, von dem ganze Bücher handeln und um das sich Mythen ranken, nie empfunden habe?
    Wahrscheinlich hatte ich meinen Vorrat an Empathie schon aufgebraucht. Bei Hannah und den anderen auf Riverton. Mit Fremden hatte ich kein Problem, ich konnte sie pflegen, sie trösten, sie bis zum Tod begleiten. Aber es fiel mir sehr schwer, noch einmal wirkliche Nähe zuzulassen. Ich zog oberflächliche Freundschaften vor und war hoffnungslos unvorbereitet auf die emotionalen Anforderungen der Mutterschaft.
    Ursula bewahrte mich davor, ihr eine Antwort geben zu müssen. »Ich nehme an, es war der Krieg«, sagte sie traurig. »Da müssen alle Opfer bringen.« Sie drückte meine Hand.
    Ich lächelte, versuchte, mich nicht wie eine Heuchlerin zu fühlen. Fragte mich, was sie von mir denken würde, wenn sie wüsste, dass ich es keinesfalls bedauert hatte, Ruth fortzuschicken, sondern im Gegenteil meine Freiheit genossen hatte. Dass ich, unfähig, Riverton hinter mir zu lassen, zehn Jahre lang langweilige Arbeiten
verrichtet und hohle Beziehungen gepflegt hatte, und erst im Krieg meine Bestimmung fand.
    »Sie haben sich also erst nach dem Krieg entschlossen, Archäologin zu werden?«
    »Ja«, antwortete ich heiser. »Nach dem Krieg.«
    »Warum Archäologie?«
    Die Antwort auf die Frage ist so kompliziert, dass ich nur sagen konnte: »Ich verspürte so etwas wie eine Berufung. «
    Sie strahlte. »Wirklich? Im Krieg?«
    »Da war so viel Tod. So viel Zerstörung. Irgendwie wurden die Dinge klarer.«
    »Ja«, sagte sie. »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Ich habe angefangen, mir über die Vergänglichkeit aller Dinge Gedanken zu machen. Eines Tages, sagte ich mir, wird sich niemand mehr erinnern, dass all das passiert ist. Dieser Krieg, all das Sterben, all die Zerstörung. Es würde bestimmt ein paar hundert oder sogar ein paar tausend Jahre dauern, aber irgendwann würde es doch vergessen sein. Es würde in den Ablagerungen der Zeit verschwinden. Die Grausamkeiten und der Schrecken würden ersetzt durch ähnliche Ereignisse in der Zukunft. «
    Ursula schüttelte den Kopf. »Schwer vorstellbar.«
    »Aber es wird so kommen. Die Punischen Kriege in Karthago, der Peloponnesische Krieg, die Schlacht von Artemisium. Von ihnen berichten auch nur noch ein paar läppische Kapitel in Geschichtsbüchern.« Ich ließ einen Augenblick verstreichen. Mein Eifer hatte mich ermüdet und mir den Atem geraubt. Ich bin es nicht

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