Geheime Spiel
Teddy mit übertriebener Ernsthaftigkeit. »Sie wäre sofort hergekommen und hätte Sie mit nach Arabien genommen.«
»Und zwar als Beduinenscheich verkleidet.«
»Ihr Vater hätte absolut nichts dagegen einzuwenden gehabt.«
Hannah lachte. »Ich fürchte doch. Einmal hat er sich schrecklich aufgeregt.«
Teddy sah sie fragend an. »Ach?«
»Einer unserer Pächter hat einmal einen von diesen Briefen gefunden und meinem Vater gebracht. Der Bauer konnte nicht lesen, aber ich hatte den Brief mit dem Familienwappen versehen, deshalb hielt der Mann ihn für wichtig. Wahrscheinlich hat er sich eine Belohnung für seine Mühe erhofft.«
»Ich nehme mal an, dass er keine bekommen hat.«
»Natürlich nicht. Vater war fuchsteufelswild, aber ich weiß bis heute nicht, ob es ihn mehr geärgert hat, dass
ich mich in derart skandalöse Gesellschaft begeben wollte, oder dass ich überhaupt die Frechheit besaß, einen solchen Brief zu schreiben. Ich glaube, seine größte Sorge war, dass Großmutter etwas davon erfahren könnte. Sie hat mich ohnehin immer für ein zu übermütiges Kind gehalten.«
»Was dem einen übermütig erscheinen mag«, entgegnete Teddy, »würden andere vielleicht als temperamentvoll bezeichnen.« Er bedachte sie mit einem ernsten Blick, hinter dem Hannah eine Absicht vermutete, wenn sie auch nicht genau zu sagen wusste, welche. Sie spürte, wie sie errötete, und wandte sich von ihm ab. Ihre Finger fuhren durch ein Büschel des langen, dünnen Schilfs, das entlang des Ufers wuchs. Sie zog einen Halm aus seinem Schaft und rannte plötzlich ganz ausgelassen auf die Brücke, warf den Halm auf der einen Seite in den rauschenden Bach und flitzte auf die andere Seite, um ihn wieder auftauchen zu sehen.
»Nimm meine Wünsche mit nach London«, rief sie ihm nach, als er hinter der nächsten Biegung verschwand.
»Was haben Sie sich denn gewünscht?«, wollte Teddy wissen.
Lächelnd beugte sie sich vor, und in diesem Augenblick griff das Schicksal ein. Der schon etwas ausgeleierte Verschluss ihrer Halskette, an der sie das Medaillon trug, löste sich, sodass die Kette von ihrem bleichen Hals rutschte und ins Wasser fiel. Hannah spürte es, konnte aber nicht mehr rechtzeitig reagieren. Im nächsten Moment sah sie von ihrem Medaillon nur noch ein schwaches Schimmern, das unter der Wasseroberfläche verschwand.
Mit angehaltenem Atem rannte sie über die Brücke und kletterte durch das Schilfrohr die Böschung hinunter.
»Was ist passiert?«, rief Teddy verblüfft.
»Mein Medaillon ist ins Wasser gefallen«, erwiderte Hannah, während sie sich hastig die Schuhe auszog. »Mein Bruder …«
»Haben Sie gesehen, wohin es gefallen ist?«
»Mitten in den Bach«, sagte Hannah. Sie kämpfte sich über den schlüpfrigen Untergrund zum Ufer vor, und schon bald war ihr Rocksaum nass und schlammverschmiert.
»Warten Sie«, rief Teddy, streifte sich die Jacke ab, warf sie ans Ufer und zog die Schuhe aus. Der Bach war an dieser Stelle zwar schmal, aber ziemlich tief, und schon bald stand Teddy bis zur Hüfte im Wasser.
Mittlerweile hatte Lady Clementine sich wieder ihrer Pflichten besonnen und stapfte energisch über den unebenen Boden, um ihre beiden jungen Schützlinge zu suchen. Sie entdeckte sie in dem Augenblick, als Teddy gerade untertauchte.
»Meine Güte!«, rief Lady Clementine. »Was ist denn hier los? Es ist doch viel zu kalt zum Schwimmen.« Ihre Stimme hatte einen aufgeregt schrillen Unterton. »Sie holen sich den Tod.«
Hannah, wie taub vor Panik, reagierte nicht. Sie lief zurück auf die Brücke und versuchte verzweifelt, ihr Medaillon irgendwo zu entdecken, um Teddy eine Richtung angeben zu können.
Er tauchte immer wieder unter, während sie das Wasser mit ihren Blicken absuchte, und als sie schon die Hoffnung aufgeben wollte, richtete er sich triumphierend auf, das schimmernde Medaillon in der hochgereckten Faust.
Was für eine Heldentat! Sie passte gar nicht zu Teddy, der trotz bester Absichten eher durch Besonnenheit denn durch Galanterie bestach. Im Laufe der Jahre, wenn die
Geschichte ihrer Verlobung bei gesellschaftlichen Ereignissen kolportiert wurde, nahm sie immer mythischere Ausmaße an, auch in Teddys eigenen Erzählungen. So als könne er, ebenso wie seine lächelnden Zuhörer, immer noch nicht glauben, dass sich das alles tatsächlich ereignet hatte. Aber es war geschehen. Und zwar genau im richtigen Augenblick und in Anwesenheit der richtigen Person, sodass das Schicksal seinen Lauf
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