Geheime Spiel
Kommode: R.S. Hunter liest , stand da. Im Stray Cat in Soho, am Samstag um 22:00 Uhr . Sie nahm den Zeitungsausschnitt, stopfte ihn in ihre Unterarmtasche, ließ sie zuschnappen. Dann begegneten sich unsere Blicke im Spiegel. Sie sagte nichts; das brauchte sie auch nicht. Ich fragte mich, warum ich es nicht schon vorher geahnt hatte. Wer sonst konnte sie so rastlos machen? So nervös? So erwartungsvoll?
Ich ging voraus und vergewisserte mich, dass die Dienstboten alle unten waren. Dann sagte ich Mr Boyle, ich hätte einen Fleck auf einer Scheibe in der Tür der
Eingangshalle entdeckt. Das stimmte natürlich nicht, aber ich konnte nicht riskieren, dass jemand hörte, wie die Haustür grundlos geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Ich ging wieder nach oben und bedeutete Hannah, die auf dem Treppenabsatz stand, dass die Luft rein war. Ich hielt ihr die Haustür auf, und sie schlüpfte hinaus. Auf der letzten Stufe drehte sie sich noch einmal lächelnd zu mir um.
»Seien Sie vorsichtig, Ma’am«, sagte ich, erfüllt von bösen Vorahnungen.
Sie nickte. »Danke, Grace. Für alles.«
Dann verschwand sie lautlos in der Nacht, die Schuhe in der Hand.
Eine Straße weiter winkte Hannah ein Taxi heran und nannte dem Fahrer die Adresse des Clubs, wo Robbies Lesung stattfinden sollte. Vor lauter Aufregung bekam sie kaum Luft. Sie musste die ganze Zeit mit ihren Absätzen auf den Boden des Taxis trommeln, um sich davon zu überzeugen, dass all das wirklich passierte.
An die Adresse zu kommen, war ein Leichtes gewesen. Emmeline besaß einen Kalender, in dem sie Flugblätter und Werbezettel und Einladungen ablegte, und Hannah hatte nicht lange gebraucht, um den richtigen Zettel zu finden. Es stellte sich heraus, dass sie sich die Mühe hätte sparen können. Nachdem sie dem Taxifahrer den Namen des Clubs genannt hatte, brauchte er keine weiteren Anweisungen mehr. Das Stray Cat war wohlbekannt in Soho, ein beliebter Treffpunkt für Künstler, Drogenhändler, Tycoons und die schillernde aristokratische Jugend, gelangweilte Müßiggänger, begierig, sich von den Fesseln ihrer adligen Geburt zu befreien.
Der Fahrer hielt vor dem Club, riet ihr, vorsichtig zu sein, und schüttelte den Kopf, als sie ihn bezahlte. Sie drehte sich noch einmal nach dem davonfahrenden Taxi um und sah, wie der Name des Clubs, der sich in dem schwarzen Lack des Taxis spiegelte, in der Dunkelheit verschwand.
Hannah war noch nie in einem solchen Club gewesen. Eine Weile blieb sie vor dem Gebäude stehen, betrachtete die einfache Backsteinfassade, das leuchtende Schild und die lachenden Menschen, die aus dem Eingang traten. Das war es also, was Emmeline meinte, wenn sie von Clubs sprach. Hierher kamen sie und ihre Freunde, um sich abends zu amüsieren. Zitternd zog Hannah ihren Schal fester um sich, trat mit gesenktem Kopf ein und winkte ab, als der Kellner ihr den Mantel abnehmen wollte.
Der Club war klein, kaum mehr als ein geräumiges Zimmer, es war sehr warm, und viele Gäste drängelten sich auf engem Raum. Ein süßlicher Geruch nach Gin lag in der verrauchten Luft. Sie blieb in der Nähe des Eingangs neben einer Säule stehen und hielt Ausschau nach Robbie.
Er war bereits auf der Bühne, wenn denn überhaupt von einer Bühne die Rede sein konnte: eine kleine freigeräumte Stelle zwischen dem Flügel und der Bar. Er saß auf einem Hocker, eine Zigarette zwischen den Lippen, und rauchte lässig. Sein Jackett hing über einem Stuhl neben ihm. Er war nur mit einem weißen Hemd und seiner schwarzen Hose bekleidet. Der Kragen war geöffnet und sein Haar unfrisiert. Er war gerade dabei, in einem Notizbuch zu blättern. Vor ihm hatten sich Leute um kleine, runde Tische gruppiert. Andere saßen auf Barhockern oder lehnten an den Wänden.
Dann entdeckte Hannah Emmeline an einem der Tische. Fanny war auch dabei, in dieser Gruppe bereits eine
alte Dame. (Das Eheleben hatte sich für Fanny als große Enttäuschung erwiesen. Mit einem strengen Kindermädchen, das sich um ihre Sprösslinge kümmerte, und einem hypochondrischen Gatten, der unter ständig neuen Krankheiten litt, waren ihre Tage erfüllt von Langeweile. Wer konnte es ihr verübeln, dass sie an der Seite ihrer jungen Freundin das Abenteuer suchte?) Sie tolerierten sie, hatte Emmeline Hannah einmal erklärt, weil sie auf so ungekünstelte Weise ihr Vergnügen suche, und außerdem sei sie erfahrener und könne ihnen häufig aus der Klemme helfen. Vor allem sei sie unübertroffen darin,
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