Geheime Spiel
Partys. Das wird Ihnen doch sicher nicht schwerfallen. Sie haben mir selbst erzählt, dass es kaum etwas gibt, worüber Sie mit diesen Leuten reden können.«
»Stimmt.«
»Wenn Sie also nichts für Emmeline empfinden, dann seien Sie ihr gegenüber aufrichtig. Bitte, Mr Hunter. Hören Sie auf, sie zu begleiten. Sonst wird sie Schaden nehmen, und das kann ich nicht zulassen.«
Robbie schaute sie an. Er hob eine Hand und schob ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie rührte sich nicht, nahm nur noch ihn wahr. Seine dunklen Augen, die Wärme, die seine Haut ausstrahlte, seine weichen Lippen. »Ich würde es tun«, sagte er. »Auf der Stelle.« Jetzt stand er ganz dicht vor ihr. Sie hörte seinen Atem, spürte ihn an ihrem Hals. Ganz leise flüsterte er: »Aber wann würde ich Sie dann je wiedersehen?«
Von da an war alles anders. Es war unvermeidlich. Ein Stillschweigen war gebrochen worden. Ein Licht war in Hannahs Dunkelheit gedrungen. Natürlich verliebte sie sich in ihn, auch wenn sie sich anfangs dessen nicht bewusst war. Sie war noch nie verliebt gewesen, hatte keinen Vergleich. Zwar hatte sie sich durchaus schon einmal zu jemandem hingezogen gefühlt, kannte diese plötzliche, unerklärliche Anziehungskraft, die sie einmal bei Teddy erlebt hatte. Aber es ist doch ein Unterschied, ob man die Gesellschaft eines Menschen genießt, ihn attraktiv findet, oder ob man hoffnungslos verliebt ist.
Die gelegentlichen Minuten des Zusammenseins, auf die sie sich bisher gefreut hatte, kostbare Minuten, gestohlen,
während Emmeline sich zurechtmachte, reichten ihr nicht mehr. Hannah sehnte sich danach, Robbie an einem anderen Ort zu treffen, irgendwo, wo sie ungestört miteinander reden konnten. Wo sie nicht jederzeit damit rechnen mussten, dass sich jemand zu ihnen gesellte.
Die Gelegenheit bot sich eines Abends Anfang des Jahres 1923. Teddy war auf Geschäftsreise in Amerika, Deborah verbrachte das Wochenende auf dem Land, und Emmeline war mit Freunden zu einer von Robbies Dichterlesungen gegangen. Hannah traf eine Entscheidung.
Sie nahm ihr Abendessen allein im Speisezimmer zu sich, saß noch eine Weile im Wintergarten und trank eine Tasse Kaffee, dann zog sie sich ins Schlafzimmer zurück. Als ich kam, um ihr beim Auskleiden zu helfen, war sie im Bad und saß auf dem Rand der eleganten, auf Löwentatzen ruhenden Badewanne. Sie trug einen zarten Satinunterrock, den Teddy ihr von einer seiner Reisen mitgebracht hatte. In der Hand hielt sie etwas Schwarzes.
»Möchten Sie ein Bad nehmen, Ma’am?«, fragte ich. Es geschah nicht oft, aber es kam doch gelegentlich vor, dass sie nach dem Abendessen noch badete.
»Nein«, sagte Hannah.
»Soll ich Ihnen Ihr Nachthemd bringen?«
»Nein«, sagte sie noch einmal. »Ich gehe nicht ins Bett, Grace. Ich gehe aus.«
Ich war verblüfft. »Ma’am?«
»Ich gehe aus. Und ich brauche deine Hilfe.«
Sie wollte nicht, dass einer der anderen Bediensteten davon erfuhr. Sie seien allesamt Spione, erklärte sie trocken, und weder Teddy noch Deborah – noch Emmeline – dürften wissen, dass sie nicht den ganzen Abend zu Hause verbracht hatte.
Der Gedanke, dass sie vorhatte, ohne Teddys Wissen allein und mitten in der Nacht das Haus zu verlassen,
beunruhigte mich. Ich fragte mich, wohin sie wollte, ob sie es mir sagen würde. Doch trotz meines unguten Gefühls half ich ihr. Natürlich tat ich das. Sie hatte mich schließlich darum gebeten.
Wir schwiegen beide, während ich Hannah in das Kleid half, das sie sich bereits ausgesucht hatte: hellblaue Seide mit Fransen, die ihre nackten Knie umspielten. Sie setzte sich vor den Spiegel und sah mir zu, wie ich ihr die Haare mit Klammern eng am Kopf befestigte. Zupfte an ihrem Kleid, befingerte ihr Medaillon, biss sich auf die Lippe. Dann reichte sie mir eine Perücke mit schwarzen, glatten und zu einem Bubikopf gestutzten Haaren, die Emmeline vor Monaten zu einer Kostümparty getragen hatte. Zwar wunderte ich mich – normalerweise trug sie keine Perücken –, aber ich setzte sie ihr auf, rückte sie zurecht und trat einen Schritt zurück, um sie zu begutachten. Hannah sah aus wie ein völlig anderer Mensch. Wie Louise Brooks.
Sie griff nach einem Parfümfläschchen – auch ein Geschenk von Teddy, Chanel No. 5, das er ihr im Jahr zuvor aus Paris mitgebracht hatte –, überlegte es sich aber wieder anders. Stellte die Flasche zurück und betrachtete sich im Spiegel. Dann entdeckte ich den Zeitungsausschnitt auf ihrer
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