Geheime Spiel
verrückt«, knurrte er, als sie am Ende der Straße angekommen waren und endlich um die Ecke biegen konnten. »Komplett durchgedreht.«
Hannah war zumute, als wäre sie durch ein Märchenland gefahren. Als der Fahrer schließlich am Kai hielt, lief sie atemlos zum Boot, wo Robbie schon auf sie wartete.
Robbie hatte keine Lust, aber Hannah bat und bettelte und überredete ihn schließlich, mit ihr auf das Fest
zu gehen. Sie kämen so wenig unter Leute, sagte sie, wann hätten sie schon einmal die Gelegenheit, zusammen auf eine Party zu gehen? Niemand würde sie dort kennen. Alles vollkommen ungefährlich.
Hannah ging voraus, war sich aber nicht sicher, ob sie sich den Weg richtig eingeprägt hatte, und fürchtete, die Party hätte sich inzwischen aufgelöst wie ein Feentanz in einem Kindermärchen. Doch schon bald hörten sie die kreischenden Geigen, die Trillerpfeifen der Kinder, das Rufen und Lachen, und da wusste sie, dass es nicht mehr weit sein konnte.
Kurz darauf bogen sie um die Ecke ins Wunderland und schlenderten die Straße hinunter. Die kühle Brise trug ihnen eine Mischung aus Gerüchen nach gerösteten Kastanien, Schweiß und guter Laune entgegen. Leute lehnten in den Fenstern, prosteten den unten Stehenden zu, sangen, lachten, hießen das neue Jahr willkommen, verabschiedeten das alte. Mit großen Augen bestaunte Hannah das fröhliche Durcheinander, klammerte sich an Robbies Arm, deutete aufgeregt hierhin und dorthin, lachte vor Freude über die Leute, die sich auf dem behelfsmäßigen Tanzboden wiegten.
Sie blieben stehen, um den Tänzern zuzusehen, mitten in der wachsenden Menge, fanden Sitzplätze auf einem über Holzkisten liegenden Brett. Eine dicke Frau mit roten Wangen und dichten Locken saß bei den Musikanten auf einem Hocker, sang ein Lied und schlug dazu den Takt mit einem Tamburin. Das Publikum feuerte die Sängerin an, Röcke wirbelten über den Tanzboden.
Hannah war hingerissen. Noch nie hatte sie Menschen so ausgelassen feiern sehen. Natürlich war sie auf zahlreichen Partys gewesen, aber im Vergleich hierzu erschienen sie ihr furchtbar zahm und gekünstelt. Sie klatschte, lachte, drückte Robbies Hand. »Sie sind wunderbar!«,
rief sie, ohne sich von den Tänzern abzuwenden. Männer und Frauen in allen Formen und Größen hakten einander unter, drehten sich, stampften mit den Füßen, klatschten in die Hände. »Sind sie nicht wunderbar?«
Die Musik war ansteckend. Schneller, lauter drang sie in Hannahs Poren, mischte sich mit ihrem Blut, bis ihre Haut prickelte. Ein treibender Rhythmus, der ihr durch Mark und Bein ging.
Dann Robbies Stimme an ihrem Ohr. »Ich hab Durst. Lass uns gehen. Ich möchte was trinken.«
Sie hörte nur mit halbem Ohr zu. Schüttelte den Kopf. Merkte, dass sie die ganze Zeit vor Spannung die Luft angehalten hatte. »Nein. Geh du nur. Ich möchte noch zusehen.«
Er zögerte. »Ich möchte dich nicht allein lassen.«
»Mach dir keine Sorgen.« Sie spürte vage, dass seine Hand die ihre noch einen Moment lang festhielt, sich dann löste. Keine Zeit, ihm nachzublicken, zu viel anderes zu sehen. Zu hören. Zu fühlen.
Später fragte sie sich, ob sie an seiner Stimme etwas hätte bemerken müssen. Ob sie hätte mitbekommen müssen, dass der Lärm, der Trubel, das Menschengewimmel ihm so zu schaffen machte, dass er kaum noch atmen konnte. Aber sie nahm es nicht wahr. Sie war zu verzaubert.
Robbies Platz wurde schnell wieder besetzt, ein anderer warmer Schenkel drückte sich gegen ihren. Sie warf einen Blick zur Seite. Ein kleiner, stämmiger Mann mit rotem Schnauzbart und braunem Filzhut.
Der Mann bemerkte ihren Blick, beugte sich zu ihr, zeigte mit dem Daumen in Richtung Tanzboden. »Woll’n wir ein Tänzchen wagen?«
Sein Atem roch nach Tabak. Seine hellblauen Augen ruhten auf ihrem Gesicht.
»Oh … Nein.« Sie lächelte ihn an. »Danke. Ich bin in Begleitung hier.« Sie drehte sich um, suchte nach Robbie. Meinte, ihn in der Dunkelheit auf der anderen Straßenseite zu erkennen. Neben dem rauchenden Fass. »Er kommt gleich zurück.«
Der Mann legte den Kopf schief. »Haben Sie sich doch nicht so. Nur ein Tänzchen. Das hält warm.«
Hannah schaute sich noch einmal um. Keine Spur von Robbie. Hatte er ihr gesagt, wohin er wollte? Wie lange er fortbleiben würde?
»Nun?« Sie wandte sich dem Mann zu. Überall Musik. Es erinnerte sie an eine Straße in Paris, in der sie vor Jahren gewesen war. Auf ihrer Hochzeitsreise. Sie biss sich auf die Lippe. Ein
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