Geheime Spiel
gerade treiben mochten. Und anstatt noch ein bisschen herumzutrödeln, wenn ich fertig war, beeilte ich mich, meine nächsten Aufgaben in Angriff zu nehmen. Hin und wieder, wenn ich das Frühstückstablett aus einem der Gästezimmer im zweiten Stock abräumte oder einen Nachttopf zum Leeren nach unten trug, drang fernes Lachen an mein Ohr, zog meinen
Blick zum Fenster hin, und dann sah ich sie in der Ferne, sah, wie sie zum See liefen, am Ende der Einfahrt verschwanden oder sich mit langen Stöcken duellierten.
Im Untergeschoss hatte Mr Hamilton die Dienstboten zu hektischer Aktivität angetrieben. Zu gewährleisten, dass ein Haushalt trotz Anwesenheit von zahlreichen Gästen reibungslos funktionierte, sei ein Gütetest für das Personal und eine Herausforderung für jeden Butler, erklärte er. Jeder Wunsch, der an uns herangetragen wurde, musste erfüllt werden. Wir sollten zusammenarbeiten wie eine gut geölte Maschine, uns jeder Aufgabe stellen und die Erwartungen des Hausherrn stets zu übertreffen suchen. Es sollte eine Woche der kleinen Triumphe werden, deren Höhepunkt das Mittsommerdinner bildete.
Mr Hamiltons Feuereifer war ansteckend, selbst Nancy erlitt einen Anfall von guter Laune, ließ sich auf eine Art Waffenstillstand ein und bot mir widerstrebend an, ihr beim Säubern des Salons zur Hand zu gehen. Es stehe mir zwar eigentlich nicht zu, erinnerte sie mich, Arbeiten im Erdgeschoss zu übernehmen, aber da die Familie des Hausherrn zu Besuch sei, könne sie mir gestatten, diese höheren Pflichten auszuüben – allerdings unter strenger Aufsicht. So lud ich mir also dieses zweifelhafte Vorrecht zusätzlich zu meinem ohnehin erhöhten Arbeitspensum auf und begleitete Nancy täglich in den Salon, wo die Erwachsenen an ihrem Tee nippten und sich über Dinge unterhielten, die mich herzlich wenig interessierten: über Landpartien am Wochenende, europäische Politik und einen Österreicher, der bedauerlicherweise an einem weit entfernten Ort erschossen worden war.
Am Tag der Theateraufführung – Sonntag, der 2. August 1914; ich erinnere mich an das Datum, wenn auch
nicht wegen der Aufführung, sondern wegen der Ereignisse, die darauf folgten – hatte ich meinen ersten freien Nachmittag und durfte zum ersten Mal meine Mutter besuchen, seit ich auf Riverton angefangen hatte. Nachdem ich meine morgendlichen Pflichten verrichtet hatte, tauschte ich meine Arbeitsuniform gegen meine Alltagskleider, die sich seltsam steif und ungewohnt an meinem Körper anfühlten. Ich bürstete meine Haare – die ganz kraus waren, weil ich sie immer zu Zöpfen geflochten trug – und steckte sie zu einem Nackenknoten zusammen. Ob ich mich wohl verändert hatte? Würde meine Mutter das so empfinden? Seit ich meine Stellung angetreten hatte, waren erst fünf Wochen vergangen, und dennoch fühlte ich mich auf unerklärliche Weise verändert.
Als ich über die Dienstbotentreppe in die Küche kam, wurde ich von Mrs Townsend empfangen, die mir ein Päckchen in die Hand drückte. »Hier, nimm. Eine Kleinigkeit zum Tee für deine Mutter«, raunte sie mir zu. »Etwas von meinem Zitronenkuchen und ein paar Stücke Baisertorte.«
Ich schaute sie an, verblüfft über die untypische Geste. Mrs Townsend war ebenso stolz auf ihre tadellose Haushaltsführung wie auf ihr prächtiges Baisergebäck.
Nach einem kurzen Blick in Richtung Treppe flüsterte ich: »Sind Sie sicher, dass die Mistress …«
»Mach dir mal keine Gedanken wegen der Mistress. Sie und Lady Clementine werden schon nicht zu kurz kommen.« Sie klopfte ihre Schürze aus und straffte ihre runden Schultern, sodass ihr Busen noch gewaltiger wirkte als sonst. »Sag deiner Mutter, dass wir hier auf dich aufpassen.« Sie schüttelte den Kopf. »Eine gute Frau, deine Mutter. Hat sich nichts zuschulden kommen lassen, das nicht schon tausendmal vorher passiert wäre.«
Dann drehte sie sich um und verschwand ebenso unvermittelt wieder in der Küche, wie sie kurz zuvor daraus aufgetaucht war. Und ich stand allein am Fuß der dunklen Treppe und fragte mich, was sie wohl gemeint haben konnte.
Auf dem ganzen Weg ins Dorf zerbrach ich mir den Kopf darüber. Es war nicht das erste Mal, dass Mrs Townsend mich mit einem Beweis der Zuneigung zu meiner Mutter verblüfft hatte. Mein Erstaunen machte mir ein schlechtes Gewissen, ich kam mir regelrecht vor wie eine treulose Tochter, aber das, was sie mir über das liebenswürdige ehemalige Dienstmädchen erzählte, hatte wenig zu tun mit der
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