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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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verschwinden. (Der Tod ereilte den Betreffenden stets in Ausübung seiner Pflicht und wurde in einem der winzigen Bücher gebührend vermerkt.)
    Neben den Beratern gab es noch die Charaktere, historische Persönlichkeiten, die jeweils von einem der drei Mitspieler verkörpert wurden. Hannah war Nofretete, und David war Charles Darwin. Emmeline, die erst vier war, als die Spielregeln festgelegt wurden, hatte sich für Königin Victoria entschieden. Eine langweilige Figur, da waren sich Hannah und David einig, und wenn man
Emmelines Alter in Betracht zog, war die Entscheidung durchaus verständlich, aber Victoria war keinesfalls abenteuertauglich. Dennoch wurde sie in das SPIEL aufgenommen, meist als Entführungsopfer, dessen Gefangennahme anschließend eine waghalsige Rettungsaktion erforderte. Während die beiden Großen ihre Berichte schrieben, durfte Emmeline die Diagramme ausschmücken und Landkarten ausmalen: blau für das Meer, violett, wo es besonders tief war, grün und gelb für Land.
    Hin und wieder war David nicht mit von der Partie – wenn der Regen nachließ, schlich er sich nach draußen, um mit den anderen Jungs Murmeln zu spielen, oder er setzte sich zum Üben ans Klavier. Dann verbündete Hannah sich mit Emmeline, und die beiden versteckten sich, nachdem sie sich aus Mrs Townsends Vorrat mit Zuckerwürfeln eingedeckt hatten, im Wäscheschrank und erfanden spezielle Namen in Geheimsprachen, um den flüchtigen Verräter zu beschreiben. Aber egal, wie groß ihre Lust auf das SPIEL auch sein mochte, sie spielten es nie ohne ihn. Das war einfach undenkbar.
    Regel Nummer drei: Es gibt immer nur drei Spieler. Nicht mehr und nicht weniger. Drei. Eine Zahl, die sowohl in der Kunst als auch in der Wissenschaft eine bevorzugte Stellung genießt: drei Grundfarben, drei Punkte, die nötig sind, um ein Objekt räumlich zu definieren, drei Noten, die einen Dreiklang bilden, drei Punkte, die ein Dreieck bilden, die erste geometrische Figur. Unbestreitbare Tatsache: Zwei gerade Linien können keinen Raum beschreiben. Die Punkte eines Dreiecks mögen ihre Position ändern, wechselnde Bündnisse eingehen, die Entfernung zwischen zweien davon kann sich verändern, wenn sie sich immer weiter vom dritten entfernen, aber gemeinsam bilden sie immer ein Dreieck. Unabhängig, real, vollständig.

    Ich kannte die Regeln des SPIELs, weil ich sie gelesen hatte. Niedergeschrieben in sauberer, wenn auch kindlicher Handschrift auf vergilbtem Papier, aufbewahrt unter dem Deckel der Kiste. Ich werde sie nie vergessen. Unter die Regeln hatten sie alle drei ihre Unterschrift gesetzt. Einstimmig beschlossen am heutigen Tag, dem 3. April 1908. David Hartford, Hannah Hartford , und schließlich, in etwas wackeligen Großbuchstaben die Initialen EH . Regeln sind für Kinder eine ernste Angelegenheit, und das SPIEL erforderte ein Pflichtbewusstsein, das Erwachsene nicht verstehen würden. Es sei denn, sie waren Dienstboten, die mit jeder Art von Pflichten sehr vertraut waren.
    Na ja. Es war nur ein Kinderspiel. Und es war nicht etwa das Einzige, das sie spielten. Irgendwann hatte das SPIEL sich dann überlebt, sie waren größer geworden, vergaßen es, ließen es hinter sich. Das glaubten sie zumindest. Als ich die drei kennenlernte, spielten sie es nur noch äußerst selten. Schon bald sollte das wirkliche Leben dazwischenkommen: Echte Abenteuer, echte Fluchten und das Erwachsenwerden lauerten hinter der Ecke.
    Nur ein Kinderspiel, und doch … Was am Ende passierte, wäre ohne das SPIEL sicherlich nicht geschehen.
     
    Der Tag, an dem die Gäste eintreffen sollten, rückte näher, und unter der Bedingung, dass ich alle meine Arbeiten erledigt hatte, erhielt ich die Erlaubnis, von der Galerie im ersten Stock aus zuzusehen. Als draußen die Abenddämmerung einsetzte, hockte ich hinter dem Geländer, das Gesicht zwischen zwei Gitterstäbe gedrückt, und lauschte auf das Knirschen von Autoreifen auf dem Kies in der Einfahrt.
    Als Erste traf Lady Clementine de Welton ein, eine Freundin der Familie, die eine düstere Würde ausstrahlte
wie die Queen, und ihre Adoptivtochter Miss Frances Dawkins (von allen Fanny genannt): eine magere, geschwätzige junge Frau, deren Eltern mit der Titanic untergegangen waren und die, so hieß es, mit ihren siebzehn Jahren verzweifelt auf der Suche nach einem Ehemann war. Nancy zufolge war es Lady Violets größter Wunsch, dass Fanny den verwitweten Mr Frederick heiraten sollte, der sich jedoch noch nicht hatte

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