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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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reglos, bis das Publikum schwieg.
    Aus dem Hintergrund ertönte eine Stimme: »Meine Damen und Herren, eine Szene aus dem Vierten Buch Mose.«
    Anerkennendes Gemurmel.
    Die Stimme: »Stellen Sie sich bitte eine Familie in alten Zeiten vor, die am Fuße eines Berges ihr Lager aufgeschlagen hat. Ein Geschwisterpaar spricht über die kürzlich erfolgte Hochzeit seines Bruders.«
    Leichter Applaus.
    Dann sagte Emmeline mit vor Stolz bebender Stimme: »Aber Bruder, was hat Moses denn getan?«
    »Er hat sich eine Frau genommen«, antwortete David leicht verschmitzt.
    »Aber sie ist keine von uns«, sagte Emmeline, während sie einen Blick ins Publikum warf.
    »Nein«, erwiderte David, »da hast du recht, Schwester. Denn sie ist Äthiopierin.«
    Emmeline schüttelte übertrieben besorgt den Kopf. »Er hat eine Frau geheiratet, die nicht zu seinem Clan gehört. Was soll nur aus ihm werden?«
    Plötzlich ertönte hinter dem Vorhang eine klare Stimme, laut schallend, als käme sie aus dem All (wahrscheinlich kam sie eher aus einem zusammengerollten Stück Pappe): »Aaron! Miriam!«
    Emmeline zuckte gekonnt ängstlich zusammen.
    »Hier spricht Gott. Euer Vater. Kommt in den Tempel, ihr beiden.«
    Emmeline und David taten, wie ihnen geheißen, schlüpften aus dem Zelt und traten nach vorne an den Bühnenrand. Flackernde Lichter warfen eine Armee von Schatten auf das Laken hinter ihnen.

    Meine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und ich konnte einige Personen im Publikum an ihrer vertrauten Gestalt erkennen. In der ersten Reihe saßen die elegant gekleideten Damen, Lady Clementine mit ihren Hängebacken, Lady Violet mit ihrem federgeschmückten Hut. Einige Reihen weiter hinten der Major nebst Gattin. Noch weiter hinten Mr Frederick, den Kopf hoch erhoben, die Beine übereinandergeschlagen, den Blick konzentriert nach vorn gerichtet. Ich betrachtete sein Profil. Irgendwie sah er verändert aus. Im unruhigen Halblicht wirkten seine Wangen ausgezehrt und seine Augen wie aus Glas. Seine Augen. Er trug keine Brille. Ich hatte ihn noch nie ohne Brille gesehen.
    Gott begann mit seinem Urteilsspruch, und ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Bühne zu. »Miriam und Aaron, wie konntet ihr es wagen, eure Stimme gegen meinen Diener Moses zu erheben?«
    »Verzeih uns, Vater«, flehte Emmeline. »Wir wollten doch nur …«
    »Genug! Mein Zorn ist gegen dich entflammt!«
    Ein Donnergrollen – wahrscheinlich von einer Trommel herrührend – ließ das Publikum erzittern. Eine Rauchwolke quoll hinter dem Vorhang hervor und breitete sich auf der Bühne aus.
    Lady Violet schrie auf, und David flüsterte: »Keine Sorge, Großmama, das gehört zur Show.«
    Amüsiertes Lachen im Publikum.
    »Mein Zorn ist gegen dich entflammt!« Hannahs strenge Stimme brachte das Publikum zum Schweigen. »Tochter«, sagte sie, woraufhin Emmeline sich umdrehte und in die sich auflösende Rauchwolke blickte. »DU — SOLLST — AN — LEPRA — ERKRANKEN!«
    Emmeline schlug sich die Hände vors Gesicht. »Nein!«, schrie sie. Einen Moment lang hielt sie in einer dramatischen
Pose inne, dann wandte sie sich wieder dem Publikum zu, sodass alle ihr entstelltes Gesicht sehen konnten.
    Ein kollektives Aufstöhnen; sie hatten sich am Ende doch gegen eine Maske entschieden und Emmeline stattdessen eine Handvoll Erdbeermarmelade und Sahne ins Gesicht geschmiert, was einen schauerlichen Effekt hatte.
    »Diese Strolche«, flüsterte Mrs Townsend verärgert. »Mir haben sie gesagt, sie bräuchten die Marmelade für ihre Scones!«
    »Sohn!«, sagte Hannah nach einer dramatischen Pause. »Du hast dich derselben Sünde schuldig gemacht, und dennoch kann ich keinen Zorn gegen dich empfinden.«
    »Danke, Vater«, sagte David.
    »Versprichst du mir, in Zukunft nicht mehr über die Frau deines Bruders zu sprechen?«
    »Ja, mein Vater.«
    »Dann darfst du gehen.«
    »O Herr«, sagte David, ein Grinsen unterdrückend, während er auf Emmeline zeigte. »Ich flehe dich an, heile meine Schwester!«
    In gespanntem Schweigen wartete das Publikum auf die Antwort des Herrn. »Nein«, lautete sie. »Das werde ich nicht tun. Sie soll sieben Tage lang ausgestoßen sein. Erst dann wird sie wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden.« Als Emmeline auf die Knie sank und David ihr die Hand auf die Schulter legte, trat Hannah von links auf die Bühne. Das Publikum atmete hörbar ein. Sie war gekleidet wie ein Mann: Anzug, Zylinder, Spazierstock, Uhrkette und auf der Nase

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