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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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gehört, die je geschrieben wurden: Chopins Walzer in Cis-Moll.
    So unmöglich das heute erscheinen mag, es war das erste Mal, dass ich Musik hörte. Richtige Musik, meine ich. Ich konnte mich vage erinnern, dass meine Mutter mir Lieder vorgesungen hatte, als ich klein war, bevor sie Probleme mit ihrem Rücken bekam und ihr das Singen verging, und dass Mr Connelly von gegenüber seine Flöte auspackte und rührselige irische Melodien spielte, wenn er freitags abends in der Kneipe zu viel getrunken
hatte. Aber so etwas wie diese Musik hatte ich noch nie gehört.
    Ich drückte meine Wange ans Geländer, schloss die Augen und gab mich ganz den herrlichen, herzzerreißenden Tönen hin. Natürlich konnte ich nicht beurteilen, wie gut David spielte – womit hätte ich sein Spiel vergleichen sollen? Aber für mich war es so makellos, wie es alle schönen Erinnerungen sind.
    Während der letzte Ton noch in der sonnendurchfluteten Luft hing, hörte ich Emmeline sagen: »Jetzt lass mich mal was spielen, David, das ist ja gar keine richtige Weihnachtsmusik.«
    Ich öffnete die Augen, als sie eine flotte Version von »O Come All Ye Faithful« klimperte. Sie spielte gar nicht schlecht, und das Lied war ganz nett, aber der Zauber war verflogen.
    »Können Sie auch spielen?«, fragte Robbie und schaute Hannah an, die verdächtig still im Schneidersitz auf dem Boden hockte.
    David lachte. »Hannah besitzt eine Menge Talente, aber Musikalität gehört nicht gerade dazu.« Er grinste. »Andererseits wissen wir natürlich nicht, was du in all den Unterrichtsstunden gelernt hast, die du heimlich im Dorf nimmst, wie ich höre …«
    Hannah schaute Emmeline an, die zerknirscht mit den Achseln zuckte. »Es ist mir einfach rausgerutscht.«
    »Mir sind Worte lieber«, sagte Hannah kühl. Sie wickelte ein paar Zinnsoldaten aus einem Tuch und legte sie sich in den Schoß. »Sie sind besser dafür geeignet, das auszudrücken, was ich sagen will.«
    »Robbie schreibt auch«, sagte David. »Er ist ein Dichter. Und zwar ein verdammt guter. Ein paar von seinen Gedichten wurden dieses Jahr im College Chronicle veröffentlicht. « Er hielt eine gläserne Kugel hoch, die bunte
Lichtprismen auf den Teppich warf. »Wie ging noch mal das, was mir so gut gefiel? Das über den verfallenen Tempel?«
    Die Tür ging auf, und Robbie kam nicht mehr dazu, auf die Frage zu antworten. Alfred erschien mit einem Tablett voller Lebkuchenfiguren, in buntes Papier gewickelten Karamellbonbons und kleinen Beutelchen mit Nüssen.
    »Verzeihen Sie, Miss«, sagte Alfred, als er das Tablett auf einem kleinen Tisch abstellte. »Mrs Townsend schickt diese Sachen hier für den Baum.«
    »Oooh, wie schön«, gurrte Emmeline, hörte mitten im Lied auf zu spielen und lief zu dem Tablett, um sich einen Bonbon zu stibitzen.
    Als Alfred sich zum Gehen wandte, warf er einen verstohlenen Blick zur Galerie hinauf und entdeckte mich. Während die Hartfords sich wieder ihrem Weihnachtsschmuck zuwandten, schlüpfte er hinter den Baum und kam die Wendeltreppe herauf.
    »Wie kommst du voran?«
    »Gut«, flüsterte ich. Meine Stimme klang mir ganz seltsam in meinen Ohren, weil ich sie so lange nicht benutzt hatte. Schuldbewusst warf ich einen Blick auf das Buch in meinem Schoß und auf die leere Stelle zwischen den vielen Büchern, die noch ihrer Säuberung harrten.
    Er folgte meinem Blick und hob die Brauen. »Nun, umso besser, dass ich hier bin, um dir zu helfen.«
    »Aber wird Mr Hamilton nicht …«
    »Er wird mich frühestens in einer halben Stunde vermissen. « Er lächelte mich an und zeigte auf das hintere Ende des Regals. »Ich fange da hinten an, dann treffen wir uns in der Mitte.«
    Ich nickte, dankbar und verlegen zugleich.
    Alfred zog einen Lappen aus der Hosentasche und ein Buch aus dem Regal und setzte sich auf den Boden. Ich
beobachtete ihn, wie er, scheinbar in seine Arbeit vertieft, das Buch umdrehte, es rundum von Staub befreite, wieder ins Regal stellte und sich das nächste vornahm. Wie er da im Schneidersitz hockte, auf seine Arbeit konzentriert, während ihm die sonst so sorgfältig frisierten braunen Haare ins Gesicht fielen, wirkte er wie ein Kind, das durch Zauberei in einen Mann verwandelt worden war.
    Er drehte sich zu mir um, und unsere Blicke begegneten sich kurz. Ein Schauer lief mir über die Haut. Unwillkürlich errötete ich. Ob er wohl dachte, dass ich ihn beobachtet hatte? Schaute er mich immer noch an? Ich wagte nicht nachzusehen, aus Furcht, er könnte

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