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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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schlimm. Sie können sie Asha nennen, und sie wird sich im Nu an den Namen gewöhnt haben.«
    »Das stimmt, Schatz.« Kris tritt hinter Somer und legt seine Hände auf ihre Schultern. »Sie wird den Unterschied nicht merken. Mach dir deshalb keine Gedanken.«
    Somer schüttelt den Kopf. »Nur ein einziges Mal würde ich gern erleben, dass hier irgendwas so läuft, wie es laufen sollte.« Sie gibt das Klemmbrett zurück und holt tief Luft. »Egal. Wir sind so weit.« Die Assistentin nickt und verlässt das Büro.
    Als sie mit dem Baby zurückkommt, stehen sofort alle im Raum auf. Krishnan, der am nächsten steht, streckt die Hände nach der Kleinen aus. Sie lässt sich ohne Weiteres von ihm in die Arme nehmen und fängt gleich an, mit seiner Brille zu spielen. »Hi, meine Süße. Hi, Asha.« Er spricht langsam und leise, während er vorsichtig ihren Kopf hält, und sie geht dazu über, seine Ohrläppchen zu kneifen. Somer tritt zu ihnen und umarmt sie. Sie streckt die Arme aus, um Asha zu halten, aber das Baby wendet sich ab und klammert sich so fest an Kris’ Hals wie ein Koalabär.
    »Sehen Sie, kein Grund zur Sorge«, sagt die Assistentin. »Sie hat Sie schon ins Herz geschlossen.«

18
Silberglöckchen
    Bombay, Indien – 1985
Sarla

    »Wie wunderhübsch sie ist. Hallo, Asha, beti «, sagt Sarla und berührt die Wange der Kleinen. »Sehr aufgeweckt, sehr neugierig – seht nur, wie sie sich umschaut. Hahnji , Baby?« Sie schenkt dem Kind ein übertriebenes Lächeln und nickt. »Also, wie war’s?«
    »Anstrengend.« Krishnan hält inne, um seinen Tee zu trinken. »Jede Menge Papierkram – Waisenhaus, Gericht, Adoptionsamt. Wir gehen heute früh ins Bett.«
    »Natürlich, das hört sich sehr ermüdend an.« Sarla wackelt mit dem Kopf, ein träges Zwischending zwischen Ja und Nein. »Gott sei Dank sind wir da, um euch zu helfen. Das Abendessen ist bald fertig.« Sie wendet sich Somer zu, die Asha auf dem Arm hat. »Was brauchst du für Asha, beti? Ein Bettchen, ein paar Handtücher? Komm mit.« Sie stehen auf, und sie legt der jüngeren Frau leicht einen Arm auf den Rücken, um sie den Flur hinunterzuführen. Sie sieht der Frau ihres Sohnes an, wie unsicher sie noch ist. Somer hält das Kind mit beiden Armen fest und hat nicht mal einen Schluck von ihrem Tee getrunken, weil sie dafür eine Hand von Asha hätte nehmen müssen. Das ist natürlich nicht ungewöhnlich: Die meisten neuen Mütter fühlen sich überfordert, obwohl sie normalerweise mehr Zeit zum Lernen haben. Asha ist schon ein Jahr alt und fängt bestimmt bald an zu laufen. Somer wird rasch mütterliches Selbstvertrauen entwickeln müssen.
    Als Sarla mit Krishnan aus dem Krankenhaus nach Hause kam, war sie erst einundzwanzig Jahre alt, noch eine junge Braut. Sie sagt immer gern, er sei von einer ganzen Familie Mütter großgezogen worden. Vom ersten Tag an war stets eine Frau da, die ihr zeigen konnte, wie alles ging – angefangen vom Säubern der winzigen Nase ihres Sohnes bis hin zum Warmeinpacken, wenn er ins Bett musste. Da waren ihre Mutter, ihre Tante, ihre Schwester und die ayah , ganz zu schweigen von einer Unzahl hilfsbereiter Nachbarinnen. In den ersten sechs Monaten war sie kein einziges Mal allein mit Krishnan. Bisweilen empfand sie es als erdrückend, dass sich so viele Hände um ihr Kind kümmerten. Doch sie wusste, sie konnte sich glücklich schätzen, und selbst wenn die Einmischung mitunter frustrierend war, so war sie doch ein Luxus, der vielen neuen Müttern, wie Somer, nie vergönnt sein würde. Sie hat gehört, dass Mütter in Amerika schon nach nur wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden, ohne die geringste Unterstützung erwarten zu können.
    » Achha , Somer«, sagt sie und geht voraus ins Badezimmer. »Ich lasse schnell etwas warmes Wasser ins Becken laufen, damit du Asha baden kannst … Komm und fühl, ob die Temperatur richtig ist, ja?« Somer tut wie geheißen, und als das Becken voll ist, sagt Sarla: »So, hier hast du ein Handtuch und etwas Talkumpuder.« Sie will schon wieder gehen, als sie den bangen Ausdruck in Somers Gesicht sieht. »Macht es dir was aus, wenn ich bleibe, während du sie badest?«, sagt sie. »Es ist schon so lange her, dass ich alte Frau ein Baby im Haus hatte. Ich würde mich sehr freuen.«
    Somers Gesicht entspannt sich. »Natürlich, bitte bleib.Ich könnte ein zusätzliches Paar Hände gut gebrauchen.« In Gemeinschaftsarbeit haben sie Asha nach dreißig Minuten fertig gebadet,

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