Geheime Tochter
Zorn an ihre Stelle. Diese Männer sind das Allerletzte. Wie kann Kris hier aufgewachsen sein?
Sie will unbedingt mit ihm reden, aber er ist noch nicht da, als sie nach Hause kommt. Zum Glück haben sich offenbar alle anderen aufs Ohr gelegt, daher verstaut sie den zweiten Hammelburger im Kühlschrank und geht auf ihr Zimmer. Sie füllt im Badezimmer zwei Eimer mit Wasser und wäscht sich gründlich von Kopf bis Fuß, ehe sie sich ein frisches Nachthemd anzieht und aufs Bett legt, bis Kris nach Hause kommt.
Somer wird durch lautes Geschepper irgendwo außerhalb des Schlafzimmers wach. Sie schaut auf die Uhr und sieht, dass Stunden vergangen sind. Sie hört Kris in dem lauten Stimmengewirr, steht auf und tritt auf den Flur, wo Kris’ Mutter an ihr vorbeihastet, ohne sie zu beachten. Als Somer ins Wohnzimmer kommt, sieht sie Kris, der einen der Bediensteten anraunzt. Der Balkon ist übersät mit allen möglichen Küchensachen – Töpfe, Pfannen, Kochutensilien, Schüsseln, Tassen –, und ein weiterer Bediensteter ist hektisch damit beschäftigt, jedes einzelne Teil abzuwischen. Sie geht in die Küche, wo ein dritter Bediensteter den Inhalt von Gefäßen mit Mehl, Reis und Bohnen in den Abfalleimer schüttet. Fassungslos sieht Somer, wie er eine ganze Servierplatte mit Gewürzen ausleert, mindestens zwei Dutzend kleine Edelstahlschälchen.
»Kris?«, sagt Somer. »Was ist denn los?«
Kris wirbelt herum, das Gesicht wutverzerrt. Ohne ein Wort packt er sie am Arm, führt sie in ihr Zimmer und schließt die Tür. »Was hast du dir dabei gedacht?«
»Was meinst du?« Sie spürt, wie ihr Herzschlag sich beschleunigt.
»Wie kommst du dazu, Fleisch in diese Wohnung zu bringen? Du weißt doch, dass meine Eltern strenge Vegetarier sind. Du hast die ganze Küche verunreinigt.«
»Tut mir leid. Daran hab ich gar nicht gedacht –«
»Meine Mutter hat fast einen Herzinfarkt bekommen. Sie wollte die ganze Küche ausmisten, aber ich hab ihr gesagt, dass man die Sachen desinfizieren kann.«
»Kris, ich hatte keine Ahnung.« Sie dreht sich zur Tür. »Ich helfe beim Saubermachen –«
»Nein.« Er hält sie am Arm fest. »Nicht. Du hast schon genug angerichtet. Lass einfach gut sein.«
»Es tut mir leid, ich hatte wirklich keine Ahnung.« Sie setzt sich aufs Bett und fängt an zu weinen.
»Was soll das heißen, du hattest keine Ahnung? Bist du so auf dich selbst fixiert, dass du nicht mitkriegst, wo du hier bist? Ich habe dir gesagt, sie sind Vegetarier. Haben wir irgendwas mit Fleisch gemacht, als sie uns besucht haben? Hast du hier jemals irgendein Fleischgericht auf dem Tisch gesehen?« Er schüttelt den Kopf.
»Ich muss mich bei deiner Mutter entschuldigen«, sagt Somer und steht auf.
»Ja«, sagt Kris, »mach das.«
Somer findet Kris’ Mutter in einem der Schlafzimmer, wo sie mit einer ihrer indischen Schwiegertöchter auf einem Bett sitzt, auf dem verschiedene bunte Seidentücher ausgebreitet liegen. Sie klopft höflich an die offene Tür. »Hallo?«, sagt sie. »Darf ich reinkommen?«
»Ja, Somer«, sagt Kris’ Mutter, ohne sich zu rühren.
Somer setzt sich auf die Kante des Bettes. »Die sind wunderschön«, sagt sie und fährt mit der Hand über einen Berg roter Seide.
»Wir suchen Saris für eine Hochzeit aus. Einer von Dr. Thakkars Kollegen heiratet diese Woche.«
»Ach so. Also, ich wollte mich bloß für den … für das in der Küche entschuldigen. Mir war nicht klar … ich wollte niemanden brüskieren, und es tut mir sehr leid.«
Kris’ Mutter nickt. »Was geschehen ist, ist geschehen. Reden wir nicht mehr darüber.«
»Ich habe wohl nicht richtig nachgedacht. Ich war ein bisschen aufgewühlt.« Somer holt tief Luft. »Ich bin spazieren gegangen und hatte ein unangenehmes Erlebnis. Da war so ein Mann – genauer gesagt, zwei Männer –, die haben mich berührt, auf der Strandpromenade.« Ihre Schwiegermutter runzelt die Stirn und mustert sie fragend. »Sie haben mich berührt«, spricht Somer weiter und deutet auf ihre Brust, »na ja, ungehörig.« Sie atmet aus und wartet auf eine verständnisvolle Reaktion.
Ihre Schwägerin ergreift zum ersten Mal das Wort. »Krishnan hat dich allein spazieren gehen lassen?«
»Ja, das heißt, nein. Nicht gelassen . Er war Cricket spielen, also bin ich allein los.«
»Nein, natürlich hätte Krishnan das nicht zugelassen. Niemals«, sagt seine Mutter. Sie blickt Somer an. »Es gehört sich nicht für Frauen wie dich, allein herumzuspazieren. Du
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