Geheime Tochter
abgetrocknet, eingecremt und angezogen.
»Nichts riecht so gut wie ein frisch gebadetes Baby«, sagt Sarla und lacht. »Außer vielleicht eine frisch geöffnete Kokosnuss. Das ist mein zweiter Lieblingsduft.« Auch Somer muss lachen, während sie Asha die feuchten Locken kämmt. Es klopft höflich an der Schlafzimmertür, und sie hören Deveshs zaghafte Stimme draußen auf dem Flur.
»Madam, Doktor Sahib ist jetzt da. Sollen wir das Essen servieren?«
Sie sitzen alle gemeinsam an dem langen, mit Schnitzereien verzierten Mahagonitisch, während der Koch und die Bediensteten ihnen reihum aus Sterlingsilberschüsseln die Teller füllen. Somer hält Asha auf dem Schoß und gibt ihr das Fläschchen. Krishnan bedient sich vom reichlichen Angebot: gerösteter Blumenkohl, gefüllte Aubergine, saag paneer , pulao und leichtes, knuspriges puri . »Ma, du hättest doch nicht so viel auffahren müssen«, sagt er mit vollem Mund.
»Unsinn! Heute ist ein besonderer Tag.«
Sobald Krishnan satt ist, bietet er Somer an, Asha zu halten, damit sie etwas essen kann. Auf ihrem Teller liegen nur kleine Mengen, nicht mehr als ein oder zwei Esslöffel von jedem Gericht. Sie probiert zaghaft mit der Gabel. »Mmmm, schmeckt das köstlich. Das erinnert mich an das India Palace in San Francisco. Ich wünschte, ich könnte so leckeren Spinat zubereiten. Du musst mir unbedingt das saag – Rezept geben.«
Sarla lächelt über die höfliche Bemerkung und sieht über die falsche Aussprache hinweg. Somer ist eine nettejunge Frau, aber obwohl sie theoretisch zur Familie gehört, ist die Kluft zwischen ihr und allen Übrigen offensichtlich. Jedes zwölfjährige Mädchen in Indien könnte ein anständiges saag paneer ohne Rezept zubereiten. Sie seufzt leise. Jetzt, da Somer die Mutter ihrer einzigen Enkelin ist, wird Sarla sich besonders Mühe geben müssen, die Distanz zu überbrücken.
Auf Krishnans Schoß grinst Asha verschmitzt zu ihm hoch und greift nach dem silbernen thali , das voll mit kleinen Schälchen vor ihnen steht. »Was möchtest du denn, meine Süße? Etwas Reis?« Er nimmt ein paar verirrte Körner mit den Fingern auf und füttert sie damit.
Sarla beobachtet die beiden diskret. Ihr fällt auf, wie unbefangen er mit Asha umgeht. Es ist eine der unerwarteten Freuden des Älterwerdens mitzuerleben, wie jeder ihrer Söhne seinen Kindern ein guter Vater ist. Als ältester Sohn der großen Sippe war Krishnan sein Leben lang den Umgang mit jüngeren Cousins und Cousinen gewohnt, sodass es nicht verwunderlich ist, wie selbstverständlich er in die Vaterrolle schlüpft. Auch Somer wird eine gute Mutter werden, so hofft Sarla, sobald sie sich an den Gedanken gewöhnt hat.
»Ihr seht beide müde aus«, bemerkt Sarla, nachdem der Tisch abgeräumt ist und sie ins Wohnzimmer gegangen sind. »Bevor ihr euch schlafen legt, haben dein Vater und ich noch etwas für euch.« Sie geht hinüber zu einem eleganten Holzschrank mit Elfenbeinintarsien, der an einer Wand im Wohnzimmer steht. Die Scharniere quietschen, als sie die Tür öffnet. Sie greift hinein und kommt mit zwei Päckchen in der Hand zu ihnen zurück. Das erste, ein kleines burgunderrotes Samtkästchen mit einer elastischen Goldschleife, gibt sie Krishnan. »Das ist für Asha.«
»Ma … das ist doch nicht nötig«, sagt Krishnan, während er an dem dünnen Knoten nestelt, bis der Deckel aufgeht. »Aaah … wie schön.« Er zeigt Somer das Kästchen, in dem zwei mit zarten Ornamenten verzierte silberne Fußkettchen liegen. Somer nimmt eines mit dem Zeigefinger auf, und ein leises Klimpern ertönt. Sie sieht sich die Reihe winziger Glöckchen, die daran baumeln, genauer an.
»Die nennt man jhanjhaar, beti . Es ist hier Brauch, dass kleine Mädchen sie tragen – manche sagen, damit man immer hört, wo sie sind.« Sarla lacht. »Als ihr uns Bescheid gesagt habt, dass ihr herkommt, um Asha abzuholen, haben wir sie gleich bei unserem Juwelier in Auftrag gegeben.«
»Sie sind wunderschön.« Somer setzt Asha bei Krishnan auf den Schoß, damit sie den Hakenverschluss an einem der Kettchen öffnen kann, um es Asha um den Knöchel zu legen. »So … oh, seht euch das an.« Sie streckt Ashas Beinchen, in jeder Hand einen Fuß: Das glänzende, kunstvoll verzierte Kettchen an ihrem linken Knöchel bildet einen deutlichen Gegensatz zu dem schlichten Silberreif an ihrem rechten. »Vielleicht nehme ich ihr den da lieber ab?«, sagt sie und fingert an dem rechten herum. »Nicht dass sie sich noch
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