Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
Vom Netzwerk:
Cranberrysoße, Bratenfond, Kartoffelbrei und grünen Bohnen reihum gehen. Während Krishnan isst, lauscht er Asha, die ihre Großeltern mit Geschichten über ihre neuen Lehrer unterhält und ihnen von ihrer Schuluniform vorschwärmt. »Am besten finde ich, dass keine Jungs da sind, die sind doof.« Alle lachen, und Krishnan ringt sich ein Lächeln ab. Sie essen in diesem Zimmer nur ein paarmal im Jahr, denkt er, während er sich umsieht, und nie ist der ganze Tisch besetzt. Er blinzelt mehrmals. Das Haus ist geräumig und schön, aber es kommt ihm steril vor, genau wie ihr Familienleben. Solange Asha mit ihrem Geplapper und Lachen für Erheiterung sorgt, fällt es ihm nicht so sehr auf, aber selbst dann fühlen sich Feierlichkeiten wie diese längst nicht so lebensprall und üppig an wie die Familientreffen, die er aus seiner Kindheit in Erinnerung hat. Das hier ist das Leben, das er sich ausgemalt hat, das Leben, das er sich erhofft hat, aber irgendwie kommt ihm der amerikanische Traum jetzt schal vor.
    Noch vor wenigen Wochen hat sich seine ganze Familie daheim zum Diwali-Essen im Haus seiner Eltern versammelt, mindestens zwei Dutzend Personen. Krishnan war als Einziger nicht dabei, daher riefen sie ihn an, reichten das Telefon herum, damit jeder ihm ein frohes Diwali wünschen konnte. Er hatte an dem Tag freudig abgehoben und war mit dem Telefon in die Küche gelaufen, doch nachdem er aufgelegt hatte, blieb er erst mal reglos am Küchentisch sitzen. Es war Abend in Bombay, und wenn er die Augen schloss, konnte er sich die Millionen diyas vorstellen, die kleinen Tonlämpchen, mit denen Balkone, Straßenstände und Schaufenster geschmückt waren. Besucher kamen, um Dosen mit Süßigkeiten auszutauschen und alles Gute zu wünschen. Die Kinder hatten schulfrei und durften länger aufbleiben, um sich das Feuerwerk anzusehen. Seit seiner Kindheit war der Abend an Diwali einer seiner Lieblingsabende, wenn sich in ganz Bombay eine magische Stimmung ausbreitete.
    Krishnan hat die Idee aufgebracht, seine Familie in Indien erneut zu besuchen und vielleicht noch ein zweites Kind zu adoptieren, aber Somer ist dagegen. Sie ist anscheinend fest entschlossen, Asha in dem kleinen Kokon zu konservieren, den sie beide um sie herum gewobenhaben. Er sieht Familie jedoch nicht als eine Kostbarkeit, die es zu beschützen gilt. Für ihn ist Familie etwas wild Wucherndes, etwas Starkes, das Jahre übersteht, Meilen, sogar Fehler. Solange er zurückdenken kann, hat es in seiner großen Sippe immer mal wieder kleinere Verfehlungen und auch größere Streitigkeiten gegeben, aber nichts davon hat die Verbundenheit unter den Familienmitgliedern nachhaltig beeinträchtigt. Somer gibt sich Mühe, sie versucht, Asha mit ihrem Herkunftsland vertraut zu machen: Sie blättert mit ihr im National Geographic , zeigt ihr Karten von Indien, wiederholt mit ihr Wissenswertes über indische Landwirtschaft und Tiere. Wenn seine Eltern einen chaniya-choli schicken, zieht sie ihn Asha an und macht Fotos von ihr, die sie nach Indien schickt. Aber seine Tochter hat gar keine Gelegenheit, die festlichen Gewänder zu tragen, deshalb bleiben sie bloß im Kleiderschrank, wo ihr Stapel immer höher wächst. Genau wie seine halbherzigen Versuche, Somer ein paar Brocken Gujarati beizubringen, sind ihre Gesten am Ende bedeutungslos.
    Vielleicht würde ihm das alles nicht so zu schaffen machen, wenn er das Gefühl hätte, noch immer die Frau zu haben, in die er sich verliebt hatte – die kluge Partnerin, die ebenbürtige Gefährtin. Es fehlt ihm, mit Somer über Medizin zu sprechen. Früher hat sie sich für seine Fälle interessiert, aber jetzt redet sie lieber in allen Einzelheiten über so profane Dinge wie Ashas Schulaufgaben. Und selbst wenn Somer von ihrer Arbeit im Ärztezentrum erzählt, fällt es ihm schwer, Interesse für Schnupfennasen und Muskelzerrungen zu heucheln, wenn er den ganzen Tag mit Gehirntumoren und Aneurysmen zu tun hatte. Obwohl sie beide Ärzte sind, können sie sich kaum noch über berufliche Dinge unterhalten, ohne dass einer von ihnen das Interesse verliert oder frustriert wird. Manchmal beschleicht ihn das Gefühl, dass die Dinge, die seine Ehe ausfüllen und definieren, nicht mehr viel Ähnlichkeit haben mit dem, was sie einst zusammengebracht hat.
    »Lasst uns anstoßen.« Somers fröhliche Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Sie hebt ihr Weinglas in die Luft, und die Übrigen tun es ihr gleich. »Auf die Familie!« Alle stimmen mit

Weitere Kostenlose Bücher