Geheime Tochter
Textilhersteller des Landes.
Wie sich herausstellt, hatte United Textiles vor gut zehnJahren Ärger mit der Gewerkschaft und begann, die Produktion nach Übersee zu verlegen. Das Unternehmen hat seine meisten Fabriken inzwischen in China und produziert überwiegend mithilfe von Kinderarbeit …« Sie legt eine Kunstpause ein. »Zehnjährige, die zwölf Stunden am Tag in Fabriken schuften, statt auf piekfeine Schulen wie diese hier zu gehen.« Asha steckt sich den Bleistift in den Mund und bemerkt zufrieden, dass keiner mehr desinteressiert guckt.
Clara findet als Erste die Sprache wieder. »Ich halte das Thema nicht für angebracht, Asha, du etwa?«
»Ja, allerdings. Ich finde es wichtig, dass wir über die Geschichte unserer Schule informiert sind und wissen, woher das Geld kommt, mit dem das alles hier finanziert wird.« Sie deutet mit den Händen durch den Raum.
»Es kommt von unseren Eltern«, wirft eine andere Schülerin ein.
Unbeeindruckt fährt Asha fort: »Uns wird hier andauernd eingetrichtert, wir sollen uns Gedanken über die Welt da draußen machen. Und die Kinder in China sind die Welt da draußen. Es ist unsere Pflicht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Ist das nicht der Sinn und Zweck von Journalismus? Sollen wir uns etwa selbst zensieren?«
Ms Jansen atmet langsam aus und sagt: »Asha, lass uns noch mal in meinem Büro darüber sprechen – morgen, in der Mittagspause.« Ihr Ton macht deutlich, dass sie keinen Widerspruch duldet.
»Und, hast du deine Eltern gefragt, ob du am Samstag auf die Party darfst?« Rita lässt den Fußball von ihrem Knie zu Asha springen.
Asha seufzt. »Nein, mein Dad muss die ganze Woche bis spät arbeiten.« Sie kickt den Ball hoch in die Luft, behältihn im Auge und fängt ihn wieder auf. »Er ist bei so was ziemlich verklemmt. Er sagt, er weiß nicht, was ich davon habe, auf Partys zu gehen. Wieso darf ich mich nicht amüsieren wie eine normale Sechzehnjährige?«
»Weißt du, Asha, mein Dad lässt mich auch nicht am Wochenende ausgehen.« Manisha, die einzige andere Inderin in ihrer Klasse, fängt den Ball ab. Sie spricht mit einem gespielten indischen Akzent weiter und hebt dabei mahnend den Zeigefinger: »Es sei denn, es kommt meiner Schulbildung zugute.« Sie lachen, und Manisha wirft den Ball zurück zu Asha. »Hat irgendwie was mit der indischen Kultur zu tun.« Sie zuckt die Achseln.
In der Umkleide ziehen die Mädchen mit geübter Diskretion wieder ihre Uniformen an und drängen sich dann vor dem Spiegel. Asha versucht, ihr dickes schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zu binden, aber das Gummiband reißt und klatscht ihr gegen die Finger. »Autsch – verdammt! « Sie schüttelt den Kopf, holt ein kleines Etui aus ihrem Rucksack und tritt an den Spiegel, um sich die Wimpern zu tuschen.
»Mensch, Asha, du hast es doch echt nicht nötig, dir die Augen zu schminken«, sagt eines der Mädchen, ohne dabei den Blick von sich im Spiegel abzuwenden.
»Ja, genau, für solche Augen würde ich wer weiß was geben. Die sind so exotisch. Hast du sie von deiner Mom oder deinem Dad?«, fragt eine andere, während sie sich ihr goldblondes Haar bürstet.
Asha verkrampft sich. »Keine Ahnung«, sagt sie leise. »Ich glaube … die haben eine Generation übersprungen.« Sie wendet sich mit hochrotem Kopf vom Spiegel ab und geht zurück zu ihrem Spind. Ich weiß nicht, von wem ich meine exotischen Augen habe , möchte sie am liebsten schreien. Nur Ashas engste Freundinnen wissen, dasssie adoptiert ist. Alle anderen sollen ruhig denken, was sie wollen. Sie könnte schließlich ohne Weiteres das natürliche Produkt ihres indischen Dads und ihrer amerikanischen Mom sein, und das hat ihr schon viele Erklärungen erspart. Sie hat keine Lust, den perfekten Spiegelmädchen ihre ganze persönliche Geschichte zu erzählen. Sie fragt sich, ob sie sie um die schwarzen Haare beneiden würden, die ihr jeden Tag an den Beinen sprießen oder um die dunkle Haut, die schon nach zehn Minuten in der Sonne braun wird, auch wenn sie dick mit Sonnencreme eingerieben ist.
»Ach, Asha, du bist so exotisch.« Sie hört eine leise neckende Stimme hinter sich. Sie dreht sich um und sieht Manisha, die lächelnd die Augen verdreht. »Komm, hast du Lust auf ein Joghurteis?« Manisha deutet Richtung Ausgang.
»Klar«, sagt Asha.
»Ich kann dieses ganze Exotik-Gequatsche nicht mehr hören«, sagt Manisha, sobald sie draußen sind. »Ich mein, sieh dich mal in Fremont um, da wimmelt’s von
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