Geheime Versuchung
kommen.
6
Lara konzentrierte sich auf die Knochen und verkniff sich jeden Kommentar. Sie sah auf die Uhr am Kopfende der Liege, vierzig Minuten waren schon vergangen. Riordan hatte die Lider geschlossen und lächelte. »Rory?«, flüsterte sie.
»Ich bin wach.« Er öffnete die Augen, das Lächeln in den großen braunen Augen hatte ihn schon als Kleinkind Herzen brechen lassen. »Wenn du heilst … ist es wie Sonnenstrahlen. Richtig schön.«
Nun lächelte auch sie. Sie küsste ihn auf die Wange, strich über die schokoladenbraunen Locken und richtete sich dann wieder auf. Rieb sich den schmerzenden Rücken. »Was hat dir denn Sorgen gemacht?« Als Teenager war sie seine Babysitterin gewesen, er hatte sie mit seinem unbekümmerten Charme um den Finger gewickelt. Dann war er erwachsen geworden, ein verantwortungsvoller Rudelgefährte, der sich aber den Spaß am Leben nicht nehmen ließ. Noch nie hatte sie ihn so angespannt erlebt.
»Ach, es ist nichts.«
»Du weißt doch, dass alles, was du sagst, unter uns bleibt.« Menschenärzte schworen einen Eid auf ihr Schweigen. In einem Rudel sah es ein wenig anders aus, denn da gab es Situationen, in denen es Lara aufgrund der Hierarchie erlaubt war, Informationen weiterzugeben, man erwartete es sogar von ihr. Dennoch verriet sie nie etwas, wenn sie um Vertraulichkeit gebeten wurde.
Ein langer Blick. »Obwohl du nun einen Gefährten hast?«
»Walker weiß genau, wer ich bin«, sagte sie und wandte sich den Muskeln, Sehnen und Blutgefäßen zu, die angerissen waren. »Er erwartet nicht, dass ich Vertrauliches preisgebe.«
Das war ihr so wichtig gewesen, dass sie es schon während der Werbung angesprochen hatte. »
Ein paar Geheimnisse werde ich für mich behalten«,
hatte sie gesagt, denn sie wusste, wie wichtig Walker nach den Erfahrungen mit Yelene absolute Ehrlichkeit war. »
Dinge, die mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut worden sind. Kannst du das verstehen?«
Walker hatte ihr mit einer vertrauten Geste eine Strähne aus der Stirn gestrichen.
»Die Informationen sind vertraulich und nur für dich bestimmt. Sie gehen mich überhaupt nichts an.«
Riordan atmete tief ein und wieder aus. »Erinnerst du dich noch daran, wie Hawke im
Wild
aufgetaucht ist?«, fragte er. Das
Wild
war eine Bar nicht weit von ihrem Revier, die jüngere Gefährten gerne aufsuchten – seit der Schlacht war aber niemand mehr dort gewesen.
Im Augenblick wollten alle beim Rudel sein.
»Die Geschichte ist legendär.« Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht im Rudel verbreitet, dass Hawke Sienna auf seinen Schultern aus der Kneipe getragen hatte. »Das wird niemand jemals vergessen.«
Riordan lächelte verschmitzt. »Das war vielleicht eine Nacht.« Dann verschwand das Lächeln ebenso schnell, wie es gekommen war, und unerwartete Reife zeigte sich auf dem Gesicht des jungen Mannes.
So sah der Mann aus, der er einmal sein würde. Jemand, der schnell zum Lachen zu bringen war und ein großes Herz hatte, doch wer nur die Oberfläche sah, würde nie so tiefe Gefühle in ihm vermuten.
»Ich habe jemanden kennengelernt«, erzählte er. »Eine Leopardin.«
»Ach.« Sie untersuchte die feineren Blutgefäße und bemerkte zu ihrem Erstaunen, dass sie bei Weitem nicht so erschöpft war wie sonst bei schwierigen Heilungen.
»Führt sie dich an der Nase herum?«
»Nein, darum geht es nicht. Ich spiele ja auch gern mit ihr.« Diesmal grinste der Wolf in ihm. »Aber es könnte etwas Ernstes werden.«
»Na gut, und wo liegt das Problem?« Er sah sie nur an. »Selbst wenn sie Leopardin ist – solche Beziehungen sind nicht mehr tabu. Bei Mercy und Riley klappt es tadellos.«
»Aber sie ist Wächterin und er Offizier«, stellte Riordan fest. »Hawke hat mit uns über die Unterschiede zwischen den Rudeln gesprochen und dass wir darauf achten sollen, dass bei einer Werbung beide Partner demselben Stand angehören.«
»Aber?«
»Aber ich weiß doch nicht, ob wir die Alphatiere informieren müssen, wenn es etwas Ernstes ist, ob es Regeln gibt, an die wir uns halten sollten, damit wir die Allianz zwischen den Rudeln nicht in Gefahr bringen, falls irgendetwas schiefläuft. Riley und Mercy wussten Bescheid, sie saßen an der Quelle … und hatten auch die Möglichkeit, eventuelle Probleme selbst zu beseitigen, bevor Hawke oder Lucas davon Wind bekamen.«
Lara wusste, worauf Riordan hinauswollte. Die Allianz zwischen Wölfen und Leoparden stand zwar auf soliden Füßen, doch in einigen
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