Geheime Versuchung
speziellen Bereichen gab es noch Unsicherheiten im Umgang miteinander. »Wie ich Hawke kenne, hat er es schon mitbekommen.« Der Leitwolf hatte sein Ohr stets am Puls des Rudels. »Aber ich werde ihn dennoch darauf aufmerksam machen. Nicht auf dich und dieses Mädchen, sondern auf die Sache mit den Liebesbeziehungen zwischen den Rudeln.«
Riordan streckte den gesunden Arm aus. »Danke, Lara, ich hätte es selbst getan.« Das war sicher die Wahrheit. »Aber ich wollte die Aufmerksamkeit der Alphatiere nicht so früh auf uns lenken. Es ist alles … noch zu frisch.«
»Verstehe.« Es war ihr auch ganz recht gewesen, dass Walkers Werbung lange Zeit eine Angelegenheit nur zwischen ihnen beiden gewesen war. Sie konnte Riordans Zurückhaltung gut verstehen. »Magst du mir denn von ihr erzählen?«
Ein warmer Blick aus den braunen Augen. »Sie heißt Noelle.«
»Die Schwester von Zach?« Das war ein Soldat der Leoparden.
»Genau. Er ist ziemlich beschützend, was Noelle und Lissa angeht«, murrte Riordan genervt, wie alle jungen Männer, die um jüngere Schwestern warben. »Lissa und Noelle sind Zwillinge.«
»Stimmt ja.« In Laras Kopf stiegen Bilder von zwei Mädchen auf, eine wie die andere mit langem schwarzem Haar, lebhaften wasserblauen Augen und kupferbrauner Haut. »Süß sind sie.« In den letzten beiden Jahren waren sie aus ihren fohlenhaften Körpern herausgewachsen. »Wie alt sind die beiden jetzt? Achtzehn?«
Riordan nickte. »Nur ein Jahr jünger als ich.« Er zögerte. »Lissa ist ein richtiger Tornado, aber Noelle ist lieb und still. Ein Ruhepol in der Welt, doch sie weiß sich zu behaupten.« Der Wolf zeigte sich in seinen Augen. »Wenn man die beiden das erste Mal sieht, könnte man meinen, dass Lissa den Ton angibt, doch wenn es um etwas Wichtiges geht, fragt sie immer zuerst Noelle.«
Er war offenbar schwer in Noelle verliebt. »Weiß Zach, dass ihr euch trefft?«
»Nein, aber Lissa weiß es – Noelle hat keine Geheimnisse vor ihr.«
»Machst du dir darüber Sorgen?«
Er nahm sich Zeit für die Antwort. »Nein, ich wusste ja von Anfang an, wie nahe sie sich stehen.« Er hielt den Arm unter den Scanner, damit Lara überprüfen konnte, ob alles in Ordnung war.
»Aber ich hasse die Heimlichtuerei«, sagte er, als sie fertig war. »Darum brauchen wir auch klare Angaben von Hawke und Lucas. Noelle möchte Zach jetzt nicht zusätzlich belasten.«
Lara runzelte die Stirn. »Warum denn nicht? Zach kann als Soldat eine Menge vertragen.«
»Das ist wahr, aber er macht sich schon völlig verrückt, weil Annie schwanger ist.«
»Was? Seit wann denn?« Lara kannte zwar Zach nicht besonders gut, Annie jedoch umso besser. Sie war Lehrerin an einer Schule, in die auch Gestaltwandlerkinder gingen, und seit der Allianz zwischen beiden Rudeln waren so viele Wölfe in die Gegend gezogen, dass nun auch einige Wolfsjunge dorthin gingen.
Lara hatte Annie auf einem Elternabend kennengelernt, den sie in Vertretung eines Paares besucht hatte, das gerade verreist gewesen war, und seither war der Kontakt zwischen ihnen nie mehr abgerissen.
»Sie wissen es erst seit einer Woche«, sagte Riordan grinsend.
»Ich freue mich für die beiden.«
Als sie eine Stunde später Walker zum Mittagessen traf, lächelte sie immer noch in sich hinein. Sie hatten sich an einer Wegbiegung mit Blick über den See getroffen.
Die Sonne schien, und die ersten beiden Klassen der Wolfsschule waren gerade draußen. Die Welpen spielten überglücklich am Strand unter den Augen der Lehrer, die das Gewimmel auch genossen. Sehr zufrieden öffnete Lara die Dose, die Walker mitgebracht hatte, und lachte laut auf. »Du steckst wohl wieder mit meiner Mutter unter einer Decke?«
Walker schüttelte den Kopf, als Lara ihm eine Gabel mit Pilzrisotto hinhielt, das er mitgebracht hatte. Aisha und er waren sich vollkommen einig, was die Sorge um Lara anging, auch wenn seiner Gefährtin das nicht immer gefiel. »Ich widme mich lieber meinem langweiligen Huhn-Schinken-Sandwich.«
Sie schmiegte sich an ihn, er spürte ihre Hüfte und roch den sanften, weiblichen Duft. »Wirst du mir bis in alle Ewigkeiten vorhalten, dass ich das gesagt habe?«, fragte sie.
Er aß ein paar Bissen und trank dann einen Schluck Kaffee, den Lara mitgebracht hatte. »Nein.« Eigenartig, aber irgendwie auch genau richtig kam es ihm vor, sie ein wenig zu necken, sie wissen zu lassen, dass er auch diese Fähigkeit besaß.
Sie rümpfte die Nase und aß noch etwas Risotto.
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