Geheimer Krieg: Wie von Deutschland aus der Kampf gegen den Terror gesteuert wird (German Edition)
manchmal grauhaarig sind.
«Für viele Somalier ist das der wichtigste Tag in ihrem Leben», sagt Ahmed Wazir. «An dem Tag legen sie ihr Schicksal auf den Tisch, und eine Person kann über ihre Zukunft entscheiden. Viele zittern, wenn ich sie in den Raum führe.» Die zusätzlichen Personen bei dem Interview fallen ihnen meistens durchaus auf, niemals würden sie sich jedoch trauen, ihre Anwesenheit in Frage zu stellen.
Während des Gesprächs tippen die Stefans und Markusse alles in ihre Laptops, was die Asylbewerber aus Somalia berichten. «Sie fragen meistens nichts direkt oder nur wenig», sagt der Übersetzer, «aber sie geben ganz klar die Kommandos.»
Meistens erscheinen die zusätzlichen Befrager zu Interviews von Offizieren, früheren Geheimdienstmitarbeitern, Polizisten, Ex-Piraten, Kollaborateuren der al-Shabaab-Miliz oder Politikern. Berichten die frisch eingereisten Afrikaner in dem Gespräch von Erlebnissen, die spannend erscheinen, erhalten sie kurze Zeit später oft eine Einladung zu einem weiteren Gespräch.
In solch einem Einladungsschreiben heißt es: «Der tiefgreifende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel in der Welt macht es erforderlich, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland über sich abzeichnende Veränderungen in diesen Ländern fortlaufend zu unterrichten.» Darum sei man sehr an der Sammlung und Auswertung zuverlässiger Informationen interessiert. «Wir wären Ihnen deshalb dankbar, wenn Sie sich zu einem Gespräch zur Verfügung stellen würden.» Absender des Briefes ist eine «Hauptstelle für Befragungswesen».
*
Das wuchtige graue Haus, das einmal das NS -Wehrkreiskommando war, steht inmitten eines Wohnviertels im bürgerlichen Wilmersdorf. In dem Bau am Hohenzollerndamm 150 in Berlin haben sich Filmfirmen niedergelassen und eine Produktionsfirma. Nur ein Mieter passt nicht recht dazu. An der weißen Gegensprechanlage im Foyer von Haus 7 steht lapidar «K. Mustermann», eine Kamera filmt jeden Besucher.
Wir klingeln. Ohne sich vorzustellen, blafft eine männliche Stimme uns an.
«Was wollen Sie?»
Wir suchen die Hauptstelle für Befragungswesen.
«Ja.»
Wir würden gern mehr erfahren und ein Interview mit dem Leiter der Stelle führen.
«Hmm … Wie haben Sie uns denn gefunden?»
Wir sind Journalisten und interessieren uns für Ihre Arbeit. Auf unsere Anfragen haben wir bisher nie eine Antwort erhalten.
«Gut, dann sagen Sie mir mal Ihre Telefonnummer – wir melden uns bei Ihnen.»
Dann legt der Mann am anderen Ende der Leitung auf. Wir warten bis heute auf den Rückruf aus dem Haus am Hohenzollerndamm. Unter dem Giebel, in der vierten Etage, sollen einige der 52 Mitarbeiter der Hauptstelle ihre Büros haben. Bis dorthin kommen wir jedoch nicht. Der Fahrstuhl fährt nur bis zur dritten Etage. Für Fahrten bis unter das Dach benötigt man einen speziellen Schlüssel. Den haben nur die Mitarbeiter.
Die Hauptstelle ist ein Amt, das es eigentlich gar nicht gibt. Es gibt kein Eingangsschild, die Behörde hat keine Internetseite, ihr Name und ihre Aufgabe sind weitgehend unbekannt. Dafür ist der Einfluss dieses Amtes umso größer. Die «Hauptstelle für Befragungswesen» ist eine Tarnorganisation, eine geheime Unterabteilung des Bundesnachrichtendienstes ( BND ). Sie scheint das Verbindungsglied zwischen den geflüchteten Somaliern und den US -Militärs zu sein.
Für den deutschen Auslandsgeheimdienst sollen Mitarbeiter in allen 13 zentralen Aufnahmelagern für Flüchtlinge zwischen Horst in Norddeutschland und Nürnberg unter Neuankömmlingen in Deutschland spionieren. In sechs der Erstaufnahmeeinrichtungen soll die Hauptstelle sogar eigene Dienststellen betreiben. Seit dem Jahr 2000 wurden 15 000 Asylbewerber und Flüchtlinge befragt, teilt die Bundesregierung mit. Zum Zweck der Hauptstelle antwortet sie: «Es wird davon ausgegangen, dass die Personen über Wissen verfügen könnten, welches [… sowohl] von außen- als auch von sicherheitspolitischer Bedeutung sein könnte.» Rechtliche Grundlage für ihre Arbeit sei das «Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus».
Bereits 1958 gründete die Bundesrepublik die Hauptstelle, anfangs noch, um Spätheimkehrer und geflüchtete DDR -Bürger über den Feind im kommunistischen Ausland auszufragen. Zwei Jahre zuvor war gerade erst der Bundesnachrichtendienst vom ehemaligen Chef der Ostspionage der Wehrmacht, Reinhard Gehlen, gegründet wurden. Die Hauptstelle für
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