Geheimer Krieg: Wie von Deutschland aus der Kampf gegen den Terror gesteuert wird (German Edition)
Befragungswesen führte Gehlens Wehrmachtserfahrungen mit Befragungen von Kriegsgefangenen konsequent weiter.
Seit Ende des Kalten Krieges kamen vor allem Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen in den Fokus der BND -Agenten. So lieferten irakische Asylbewerber wertvolle Hinweise, die zu Bombardierungen von Zielen in Mossul und Bagdad durch amerikanische Kampfflugzeuge während des Irak-Kriegs im Jahr 2003 führten.
Vielleicht hätte es ohne die Informationen aus Deutschland den Irak-Krieg gar nicht erst gegeben. Als der amerikanische Verteidigungsminister Colin Powell am 5 . Februar 2003 vor den UN -Sicherheitsrat in New York trat, um für einen Militärschlag gegen den Irak zu werben, hatte er ein Dossier aus Deutschland mit dabei. Auf riesigen Schaubildern zeigte Powell der Welt, wo im Irak Chemiewaffen lagerten und wo Saddam Hussein versteckte Raketentestgelände angelegt hatte. Am eindrucksvollsten blieben den Zuhörern aber die Zeichnungen von mobilen Biowaffen-Labors im Gedächtnis. Daraufhin überfielen die USA das Land, töteten Staatschef Saddam Hussein und stürzten Irak in einen bis heute anhaltenden Bürgerkrieg.
Doch die Informationen waren Lügen. Sie stammten von einem Asylbewerber im bayerischen Zirndorf. BND -Agenten hatten den geflüchteten Iraker Rafid Ahmed Alwan al-Janabi dort aufgespürt und waren auf seine Lügen hereingefallen. Sein Tarnname: «Curveball». Im Gegenzug für die vermeintlichen Einblicke in die Produktion von Massenvernichtungswaffen erhielt der Mann einen deutschen Pass und einen Vertrag mit «Thiele und Friedrichs» in München, einer Tarn-Werbeagentur des Auslandsgeheimdienstes.
Derzeit sucht der Bundesnachrichtendienst auf seiner Webseite «freiberufliche Mitarbeiter/innen mit hervorragenden Sprachfertigkeiten für die Sprache Somali». Die Bewerber sollen ein «ausgeprägtes Hörverstehen» in der somalischen Sprache mitbringen und ins Deutsche übersetzen können. Besonderer Hinweis für die potenziellen BND -Übersetzer: «Bitte behandeln Sie Ihre Bewerbung beim Bundesnachrichtendienst diskret.»
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Wir stehen immer noch vor der Zentrale der Hauptstelle am Berliner Hohenzollerndamm und warten darauf, mit einem Mitarbeiter ins Gespräch zu kommen. Nach zwei Stunden, kurz vor Feierabend, fährt ein unscheinbarer grauer Kombi auf den reservierten Parkplatz vor dem Haus, eine Frau und ein Mann steigen aus dem Auto. Sie sind zwischen 30 und 40 Jahre alt und nehmen ihre schwarzen Laptoptaschen aus dem Wagen. Wir gehen auf sie zu.
Guten Tag, arbeiten Sie bei der Hauptstelle für Befragungswesen?
«Wer sind Sie denn?»
Wir sind Journalisten und suchen die Hauptstelle.
Keine Reaktion
Arbeiten Sie hier?
«Dazu äußern wir uns nicht.»
Hektisch schließt der Mann die Fahrertür ab, und schnell laufen die beiden zum Eingang von Haus 7 . Die Frau drückt den Fahrstuhlknopf, und dann schweben sie davon. Ihr Ziel: die 4 . Etage. Der Geheimtrakt.
Die BND -Agenten sind ausgebildet im Befragen, aber Antworten geben sie nur ungern. Wir beschließen, aufs Land zu fahren. Raus aus der Hauptstadt. Weg von den erhöhten Sicherheitsvorkehrungen des Hauptsitzes. Vielleicht erfahren wir von den Asylbewerbern und in den Außenstellen der Hauptstelle mehr.
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Wir sitzen im Auto auf der Fahrt nach Friedland. Platt liegen die Felder um den Ort, so platt wie Niedersachsen selbst. Die Stadt liegt in der Nähe von Göttingen im Dreiländereck zwischen Hessen, Thüringen und Niedersachsen. Es sieht hier aus wie überall in der deutschen Provinz: Im Ort gibt es einen Supermarkt, einen roten Backsteinbahnhof und einen Kreisverkehr. Das Besondere an der Gemeinde ist jedoch ein riesiges Gelände hinter einem Metallzaun an den Bahnschienen. Das Motto der Anlage: «Tor zur Freiheit».
Die Flüchtlingsaufnahmestelle nennt sich offiziell «Grenzdurchgangslager Friedland», der Name stammt noch aus einer anderen Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in den flachen weißen Baracken Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten und Kriegsheimkehrer untergebracht. Später landeten Übersiedler aus der DDR hier, und nach der Wende kamen dann die Spätaussiedler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Seit einigen Jahren nimmt das Lager aber vor allem Männer und Frauen auf, die vor den Unruhen in den Krisenregionen dieser Welt nach Europa geflohen sind: aus Afghanistan, Syrien, Somalia. Dreihundert Menschen leben im ständigen Wechsel in dem Heim, fünfhundert sollen es einmal werden. Nach
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